Eine Frage des Managements
13. November 2012Die Veränderung ist für den alteingesessenen Bewohner von La Paz mit bloßem Auge sichtbar: Der Berg Illimani, der mit seinen gewaltigen 6.439 Metern das Bild der Anden-Stadt prägt, ist mit weitaus weniger Schnee bedeckt als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Der Nachbargipfel, der Chacaltaya, hat sich sogar noch dramatischer verändert. Bis vor Kurzem befand sich hier auf 5.300 Meter das höchste Skigebiet der Welt. Seit 2009 kommen die sportbegeisterten Bolivianer allerdings nicht mehr her, denn der Gletscher des Chacaltaya, auf dem sich so gut Skifahren ließ, ist verschwunden. „Das beunruhigt die Leute“, berichtet Karin Kemper, die sich als Umweltexpertin der Weltbank für die Region Südamerika intensiv mit dem Thema beschäftigt. „Sie brauchen gar keine Wissenschaftler, die ihnen erst erklären müssten, dass hier etwas nicht stimmt.“
In zwanzig bis vierzig Jahren ist der letzte Anden-Gletscher verschwunden
Überall in den Anden zeigt sich ein ähnliches Bild wie hoch in den Bergen über La Paz: Die Gletscher schmelzen. Spätestens in zwanzig bis vierzig Jahren, so die Prognosen, werden sie alle das Schicksal des Chacaltaya teilen. Für die Anden-Bewohner hat das gravierende Auswirkungen, denn die gewaltigen Eismassen sind mehr als eindrückliche Kulisse und Naherholungsgebiet: Von Kolumbien und Ecuador, über Peru und Bolivien bis nach Chile sind sie das prägende Element im Wasserhaushalt der Region.
Denn ein intakter Gletscher speichert im Sommer, der regenreichen Jahreszeit in Südamerika, die Niederschläge als Schnee. Im niederschlagsfreien Winter taut dieser Vorrat ab und versorgt so die Flussläufe, an denen die Menschen leben, mit dem kostbaren Nass. Mit dem Verschwinden der Gletscher entfällt dieser Rhythmus. Schätzungen der Weltbank zufolge wird der Klimawandel bis 2020 die Frischwasserversorgung von 40 Millionen Menschen, 70 Prozent der Anden-Bevölkerung, gefährden.
Konflikte um Wasser werden zunehmen
Diese Entwicklung birgt erhebliche soziale Sprengkraft, weil sie die bestehenden Konflikte um die vorhandenen Wasserressourcen noch einmal verschärft. Denn das Wasser wurde auch ohne Zutun des Klimawandels in den vergangenen Jahrzehnten immer knapper. Das liegt zum einen an der wachsenden Bevölkerung in der Region, zum anderen an wirtschaftlicher Entwicklung und wachsendem Lebensstandard mit ihrem erhöhten Wasserbedarf.
Eine der wesentlichen Konkurrenzlinien verläuft zwischen den Städten auf der einen Seite und der ländlichen Bevölkerung auf der anderen Seite. Aber auch innerhalb der Städte konkurrieren Industrie und Haushalte um das kostbare Gut. „Wirklich brisant wird es im Laufe der nächsten Dekade werden, weil dann die Gletscher zur Neige gehen werden“, warnt Pascal Girot, ebenfalls Experte für Klimawandel in Lateinamerika bei der Hilfsorganisation CARE. „Wenn die Gletscher erst einmal verschwunden sind, bekommt man richtig ernsthafte Probleme.“
Vorerst bekommen die Anden-Staaten noch eine Gnadenfrist. „Dadurch, dass die Eismassen der Gletscher abschmelzen, steht den Menschen erst einmal mehr Wasser als zuvor zur Verfügung“, erläutert Weltbank-Expertin Kemper. Gerade für die Großstädte wie La Paz, Quito, Lima oder Bogota ist das ein temporärer Glücksfall, denn die Städte wachsen rasant – und mit ihnen ihr Wasserbedarf. Hinzu kommt der erhöhte Pro-Kopf-Verbrauch durch den wirtschaftlichen Aufschwung. Durch den verstärkten Wasserzufluss aus den abschmelzenden Gletschern konnte der Mehrbedarf bisher mancherorts noch ausgeglichen werden. Die Städte profitieren also momentan noch von der Schmelze.
Allerdings ist die Infrastruktur in den meisten Städten nicht geeignet, den vermehrten Wasserzufluss dauerhaft nutzbar zu machen. Es fehlt an Dämmen, großen Speicherbecken, zusätzlichen Verteilnetzen und nicht zuletzt an effektiven Systemen zur Wasseraufbereitung. „Das Problem ist, dass die Infrastruktur der Wasserversorgung irgendwann für eine bestimmte Stadtgröße konzipiert und gebaut wurde“, erläutert Kemper. „Um mehr Menschen versorgen zu können, muss die Stadt erst einmal sehr viel Geld investieren.“ Die Gnadenfrist, in der das Wasser noch reichlich fließt, müssen die Anden-Staaten deshalb so gut wie möglich für den Ausbau der Infrastruktur nutzen. Die Weltbank setzt darüber hinaus auf die Erforschung tiefliegender unterirdischer Wasserspeicher. Außerdem gibt es – allerdings sehr teure – Pläne, über kilometerlange Leitungen Wasser aus dem Amazonasbecken oder aufbereitetes Meerwasser, in die Städte zu pumpen.
Politische Antworten auf knappe Wasserressourcen
Technische Maßnahmen sind jedoch nur ein Teil der Antwort auf die knapper werdenden Wasserressourcen. „Es reicht nicht, dass jemand von außen kommt und sagt: Hey, ihr müsst einfach nur in eine millionenschwere Wasseraufbereitungsanlage investieren“, wendet sich CARE-Mitarbeiter Girot gegen eine zu enge, rein technische Perspektive. „Die Lösungen müssen von innen kommen.“ Zusätzlich zu den technischen Maßnahmen brauche es entsprechenden Regierungsstrukturen.
Denn über die Zuteilung der knappen Ressource könne angesichts des bestehenden Konfliktpotentials nur eine nationale Institution mit übergeordneter Autorität entscheiden, so der Experte. Um bei Trockenheit für eine faire Verteilung zu sorgen, müsse sie die Beschlüsse lokaler Regierungen außer Kraft setzen und das Recht einzelner Konsumenten auf Wasser beschränken dürfen. „Ein gutes Beispiel für die Anden-Region ist die Autoridad Nacional del Agua, eine Behörde, die Peru vor einigen Jahren geschaffen hat“, so Girot. Die finanziell und administrativ eigenständige Institution ist im Land die Autorität mit der höchsten Entscheidungsgewalt im Wassersektor. Im Fall von Trockenheit bestimmt sie, wer das vorhandene Wasser vorrangig nutzen darf. Hierbei besteht ihre Aufgabe vor allem darin, das Recht des Einzelnen auf ausreichend Wasser zu garantieren.
Die möglichen Ansätze zur Zuteilung des knappen Gutes durch eine solche Behörde sind vielfältig: Sie reichen von der Einschränkung der Wasserversorgung auf wenige Stunden am Tag, über die Bevorzugung von Haushalten gegenüber Industrie und Landwirtschaft, bis hin zur Einführung von höheren Tarifen für Großverbraucher oder die Umsiedlung ganzer wasserintensiver Industrien.
Und wenn es irgendwann dann doch nicht mehr reicht mit dem Wasser? Girot ist verhalten optimistisch: „Die Anden sind noch lange nicht so trocken wie Jordanien oder die Arabische Halbinsel. Dort kommen die Menschen mit sehr wenig Wasser zurecht.“ Umsiedlungen, so wie sie vor einigen Jahren der Gouverneur von La Paz in die Diskussion brachte, hält er für das allerletzte Mittel.
Autorin: Eva Mahnke
Redaktion: Klaus Esterluß