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Drängeln für die Forschung

Fabian Schmidt28. Juni 2013

Forscher schicken tausende Menschen durch enge Gänge. Um herauszufinden, wie gefährliche Gedränge-Situationen entstehen. Das Ziel: Menschenmassen so zu steuern, dass keine Panik-Situationen entstehen.

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Probanden betreten die Messe Düsseldorf (Foto: Forschungszentrum Jülich)
Bild: Forschungszentrum Jülich/Marc Strunz-Michels

Knapp 1000 Menschen - Studenten, Arbeiter, Hausfrauen - drängen in einen Raum. Jeder von ihnen trägt einen weißen Hut - darauf ein bierdeckelgroßer individueller QR-Code. Von oben nehmen Kameras die Szene auf und verfolgen jeden einzelnen Teilnehmer und seine Bewegungen.

Das Gedrängel dient ausschließlich der Wissenschaft: Forscher aus Jülich wollen Menschenströme besser verstehen und mathematisch beschreiben. Ihr Ziel ist es, Großveranstaltungen sicherer zu machen. Also Fußballspiele, Konzerte oder Pilgermärsche, wo es regelmäßig zu Massenpaniken und Unglücken mit vielen Verletzten und sogar Toten kommt.

Ein Proband des BaSiGo-Experiments trägt einen Hut mit einem QR-Code (Foto: Forschungszentrum Jülich)
Der QR-Code auf dem Hut verrät, wer sich drunter verbirgtBild: Forschungszentrum Jülich/Marc Strunz-Michels

Wieviele Menschen passen auf eine Fläche?

Drei Tage lang schieben sich in der Düsseldorfer Messehalle Probanden durch schmale Gänge und quetschen sich in engste Räume. Nur wer keine Platzangst hat, darf teilnehmen. Neben dem weißen Hut mit dem kamera-lesbaren Code tragen die Teilnehmer ein Armband in rot oder gelb.

Nachdem Projektleiter Armin Seyfried sie durch vier Tore in einen Raum geschickt hat, fordert sein Kollege Stefan Holl jetzt, dass alle mit rotem Bändchen den Raum über die Tore mit roter Ampel verlassen. Diejenigen mit gelbem Bändchen sollen die Tore mit der gelben Ampel benutzen.

Alle laufen durcheinander. Trotzdem dauert es nur wenige Minuten, bis der Raum sich leert. Informatiker Maik Boltes verfolgt das Durcheinander von oben mit knapp 30 Kameras. Das ist nötig, weil die Menschenmenge sehr dicht ist. "Durch diese Enge, wären die Leute zum Teil verdeckt, wenn wir nicht mit möglichst vielen Kameras senkrecht auf die Leute schauen", so Boltes.

Aus weißen Hüten werden bunte Punkte

Über die Codes auf den Hüten kann Boltes später jeden Einzelnen genau identifizieren. Alle Teilnehmer mussten zuvor einen Fragebogen ausfüllen und Auskunft geben über ihr Geschlecht, Gewicht und andere Dinge, die ihr Verhalten beeinflussen könnten. "Dadurch wird zum Beispiel ersichtlich, wie sich kleinere Leute verhalten. Und ob sich Frauen möglicherweise anders verhalten als Männer." Auch das Gruppenverhalten hat Boltes im Blick. Dafür musste jeder Teilnehmer vor den Versuchen angeben, ob er in einer Gruppe mitläuft. "Wie laufen solche Gruppen durch eine Menge? Laufen die nebeneinander oder eher verschränkt zueinander?" Solche Fragen interessieren uns, sagt Boltes.

Im Computer werden aus den Menschen mit den weißen Hüten viele bunte Punkte. "Rote Bereiche zeigen, dass dort die Menschen stehen. Grün heißt, sie gehen", erklärt Physiker Armin Seyfried. "So können wir identifizieren, wo es zu Stauungen kommt, wie lange die Stauungen dauern und wie groß die Stauungen sind."

Computermodell nach einem BaSiGo-Experiment (Foto: Forschungszentrum Jülich)
Menschen drängeln sich durch einen Ausgang. Der Computer stellt sie als bunte Punkte dar. Rot heißt: StauBild: Forschungszentrum Jülich

Menschen die gehen, brauchen auch mehr Platz als Menschen, die stehen. Deshalb stellt der Computer sie als Ellipsen dar. Denn nebeneinander können mehr Menschen gehen, als hintereinander. "So berücksichtigen wir die Längsauslenkung der Beine", so Seyfried.

Fließmodelle am Computer

"Vor allem möchten wir herausfinden, wie ein Stau entsteht und wie er sich verzögern oder gar verhindern lässt - zum Beispiel durch bauliche Veränderungen oder den geschickten Einsatz von Wegweisern", sagt Bauingenieur Stefan Holl: "Wie breit müssen Ausgänge und Wege sein? Wie viel Platz brauche ich, um einen Stau aufnehmen zu können? Und wie optimiere ich den Personenfluss an Kreuzungen?"

Die Antworten darauf könnten beim Bau eines Bahnhofs oder Flughafens helfen. Auch Großveranstaltungen wie Messen, Konzerte oder Sportfeste ließen sich besser planen. Forschungsgruppenleiter Seyfried möchte am Ende des Projekts Architekten, Veranstaltern, der Feuerwehr und der Polizei etwas an die Hand geben, was ihnen praktisch im Alltag hilft.

Computersimulation für Architekten und Veranstalter

"Man kann sich das wie ein Computerspiel vorstellen, das in der Lage ist, große Personenströme in Gebäuden abzubilden", so der Physiker. Damit kann ein Veranstalter zum Beispiel simulieren, dass 10.000 Menschen in eine bestimmte Richtung wollen. "Wenn sich dann zeigt, dass es zu Situationen kommen kann, die gefährlich sein können, muss man seine Planungen verwerfen und Alternativen finden."

Nimmt man die Warnung nicht ernst, so Seyfried, und es kommt zum Gedränge, ist es meist zu spät. Man könne zwar versuchen, mit Lautsprechern die Menschen anzusprechen und auf andere Fluchtwege hinzuweisen, "bei einer bestimmten Dichte ist es aber unmöglich, die Menschen noch zu erreichen", sagt der Forscher. "In dem Gedränge ist es nicht einmal mehr möglich etwas wahrzunehmen, was einen oder zwei Meter vor einem passiert."

Bei den Versuchen der Forscher in der Düsseldorfer Messehalle geht unterdessen alles glatt. Die Laune der Probanden ist gut, alle haben ihren Spaß und die Ausgänge sind groß genug. Und schon heißt es wieder - aufstellen und reinmarschieren für ein neues Experiment - für das nächste Gedrängel im Dienste der Wissenschaft.