Wolken über Montreux
21. Januar 2014Eine gute Stunde mit dem Auto ist das schweizerische Montreux von Genf entfernt. Vor der malerischen Kulisse des Genfer Sees beginnt die oft verschobene Konferenz zu Syrien, einem Land, das in großen Teilen schon in Schutt und Asche liegt.
Die Sicherheitsvorkehrungen zum Auftakt der sogenannten Genf-II-Konferenz am Mittwoch (22.01.2014) sind massiv. In die breit angelegte rote Zone rund um den Tagungsort Petit-Palais-Montreux darf nur, wer teilnimmt oder akkreditiert ist. Kein Wunder, denn die Besetzung ist besonders am ersten Tag hochkarätig: Gastgeber ist UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, ebenso dabei sind UN-Sondervermittler Lakhdar Brahimi, der US-amerikanische Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow.
Insgesamt sind 45 Delegationen nach Montreux gekommen. Sie alle haben Rederechte und sie alle wollen vor der Opposition und der Delegation des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad bekunden, dass sie an eine politische Lösung im Syrien-Krieg glauben. Entschieden wird in Montreux jedoch nichts - die Veranstaltung hat eher einen zeremoniellen Charakter. Die eigentlichen Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien beginnen am Freitag (24.01.2014) mit Lakhdar Brahimi als Moderator - unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Und wie lange sie gehen werden, steht noch nicht fest.
Ziele von Genf I umsetzen
In der Konferenz soll es um die Umsetzung der bereits im Juni 2012 festgelegten Grundsätze der ersten Genfer Syrien-Konferenz gehen. Darin wird die Bildung einer Übergangsregierung gefordert, die mit umfassenden Befugnissen ausgestattet werden soll. Kurz vor Beginn der Konferenz hatten die EU-Außenminister bei ihrem Treffen in Brüssel dieses Ziel auch noch mal bekräftigt: "Die EU erinnert daran, dass das Ziel der Konferenz die Errichtung einer Übergangsregierung unter beiderseitiger Zustimmung ist", erklärten sie.
Diese müsse vollkommene Gewalt auch über Sicherheitskräfte, Militär und Geheimdienste haben. Zugleich sicherte die EU dem Oppositionsbündnis der "Syrischen Nationalen Koalition" (SNC) Unterstützung zu, falls diese im Laufe der Verhandlungen notwendig sein sollte.
Streitpunkt Iran
Bis zum Schluss stand die Durchführung der Konferenz auf der Kippe - erbitterte Streits und Boykottdrohungen prägten die Stimmung im Vorfeld. Kaum hatte die tief gespaltene Opposition entschieden, an der Konferenz teilzunehmen, lud UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon den Iran zum Auftakt der Konferenz ein. Er sollte als regionaler Verbündeter Assads mit am Tisch sitzen und positiv auf ihn einwirken. Einen Tag später lud der Generalsekretär den Iran wieder aus.
Dieser hatte zuvor erklärt, sich nicht an das Genfer Kommuniqué von Juni 2012 halten zu wollen. Man akzeptiere keine Vorbedingungen, sagte eine Sprecherin der iranischen Regierung. Ban Ki-Moon habe sich zutiefst enttäuscht über die Stellungnahme des Iran gezeigt, erklärte sein Sprecher.
Geringe Erwartungen
Die Erwartungen an die Konferenz sind daher im Vorfeld schon gedämpft. Ahmad Dscharba, Chef der SNC, steht seit Monaten vor der Herausforderung, die Gräben zwischen den Oppositionellen zu überbrücken. Die meisten Rebellen - aber auch Fraktionen innerhalb der SNC - lehnen eine zukünftige Regierung mit Beteiligung des alten Regimes ab und eigentlich auch schon Gespräche mit dem Regime. Zudem trauen sie dem Westen nicht und befürchten, dass sie am Ende dieser Gespräche zugunsten des Friedens einen Pakt mit Assad schließen müssen. Assad goss mit Äußerungen über eine mögliche Kandidatur bei der nächsten Präsidentschaftswahl in der ersten Jahreshälfte zusätzlich Öl ins Feuer. Es gebe keinen Grund, nicht anzutreten, erklärte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP.
Assad scheint der Konferenz entspannt entgegenzusehen: Seine Chemiewaffen hat er abgegeben, er hat zugesagt, dass Hilfslieferungen an das palästinensische Flüchtlingslager Yarmouk geliefert werden können und schon jetzt gibt es Stimmen, die ihn als "kleineres Übel" im Gegensatz zu den aufstrebenden Dschihadisten von Al-Kaida bezeichnen.
Jetzt will er sich mit "Terroristen", so wie er seine Gegner pauschal nennt, an einen Tisch setzen. Seine Delegation unter der Führung des syrischen Außenministers Walid Al-Muallim werde strikt seinen Anweisungen folge leisten.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier betonte vor Beginn der Konferenz, dass die Erwartungen realistisch bleiben müssten. "Wir haben jetzt die Pflicht, mit Blick auf das Blutvergießen in Syrien zu versuchen, mindestens humanitäre Kampfpausen, möglicherweise auch nur lokal begrenzt, zu vereinbaren. Und erst dann wird es in den weiteren Monaten darum gehen, die Konfliktparteien in Syrien aneinander anzunähern", erklärte Steinmeier in Brüssel.
Forderung nach humanitärer Hilfe
Unterdessen riefen die 35 Mitglieder der Hilfsorganisationsvereinigung für Syrien (Sirf) dazu auf, die Konferenz unbedingt für eine humanitäre Lösung zu nutzen. Die Koalition internationaler Nichtregierungsorganisationen, darunter Ärzte der Welt, Save the Children und World Vision Deutschland, schrieben: "Die Gespräche müssen Resultate zeigen, damit das Leid von Millionen Syrern endlich endet."
Was 2011 als friedlicher Aufstand für Reformen und mehr Demokratie begann, hat sich längst zu einem verheerenden Krieg mit mehr als 120.000 Toten entwickelt. Diese Zahl ist nur eine Schätzung, denn die Vereinten Nationen haben aufgehört, die Toten zu zählen. Verlässliche Informationen gibt es schon lange nicht mehr. Über 2,3 Millionen Syrer sollen in die Nachbarländer geflohen sein, innerhalb des Landes sind mehr als 4,5 Millionen auf der Flucht.
Es herrschen Not und Hunger, die medizinische Versorgung ist katastrophal. Das Regime bombardiert ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung weiter, die Rebellen kämpfen an der Front und besonders die radikal-islamischen Al-Kaida-nahen Gruppen werden auch während der Konferenz nicht aufhören, ihre Gegner hinzurichten. Zudem verzeichnet die Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) in der Provinz Rakka weitere Geländegewinne.
Wenn es unter diesen Vorzeichen in Montreux und Genf schlecht läuft, dann bleibt es bei ein paar Solidaritätsbekundungen, während die Kämpfer auf dem Feld weiter für Blutvergießen sorgen. Wenn es gut läuft, dann könnte vielleicht eine Waffenpause beschlossen werden oder Wege für mehr humanitäre Hilfe. 980 Journalisten aus der ganzen Welt sind in die Schweiz gereist, um dabei zu sein, wenn über die Zukunft dieses kriegsgebeutelten Landes entschieden wird. Ob sie allerdings darüber berichten können, dass eine Übergangsregierung eingesetzt wird, ist fraglich.