"Der Status der Krim wird noch lange ungeklärt sein"
16. März 2014DW: Was wird die ukrainische Übergangsregierung nach dem Referendum tun?
Juri Durkot: Die ukrainische Übergangsregierung hat das Referendum abgelehnt und wird das Ergebnis natürlich nicht akzeptieren. Das wird allerdings die Situation auf der Krim nicht ändern, weil die Regierung in Kiew im Moment keinen Einfluss auf die Ereignisse auf der Krim hat.
Welche Handlungsspielräume hat die ukrainische Regierung noch?
Nicht viele. Gegen die Separatisten auf der Krim, die durch die russische Armee unterstützt werden, kann die ukrainische Regierung kaum etwas ausrichten. Gott sei Dank ist es bisher nicht zum Blutvergießen gekommen.
Wie groß ist die Gefahr, dass es zu einer militärischen Konfrontation kommt?
Man kann in dieser Situation nichts ausschließen. Die russische Armee hat ihre Einheiten an den Grenzen zur Ukraine stationiert und führt dort Manöver durch. Die ukrainische Armee hat ebenfalls mobil gemacht und ist in höchster Alarmbereitschaft. Eine solche Situation ist sehr gefährlich. Da reicht ein kleiner Schritt, damit es zu einer Eskalation der Gewalt kommt.
Ist die Krim für die Ukraine verloren?
Das wird die Regierung in Kiew nie akzeptieren. Aber die Chance, dass die Krim zur Ukraine zurückkehrt, möglicherweise mit einer erweiterten Autonomie, ist derzeit nicht gegeben. Der Status der Krim wird noch lange Zeit ungeklärt sein. Weder die EU noch andere Länder werden die Annexion durch Russland anerkennen. Die Bewohner der Krim hatten ja auch de facto keine Wahl bei dem Referendum.
Die russische Regierung konnte das Referendum ja auch deshalb durchsetzen, weil viele Bewohner der Krim lieber russische als ukrainische Staatsbürger sein wollen. Was erwarten diese Menschen vom Anschluss an Russland?
Was diese Menschen sich erhoffen, ist eine Illusion. Sie denken, sie werden künftig höhere Renten und Löhne bekommen, die Krim wird florieren und wird zu einem Touristenmekka werden. Dabei ist zweifelhaft, ob Russland die Krim tatsächlich großzügig finanziell unterstützen wird. Die Urlaubsaison kann man in diesem Jahr auch abschreiben. Welcher Tourist liegt schon gerne am Strand, wenn nebenan Vermummte mit Maschinengewehren herumlaufen? Auf der Krim sind außerdem Feindbilder aktiv, die durch die russische Propaganda geschürt werden, die haben ihren Teil zur Entwicklung beigetragen.
Rechnen Sie damit, dass ethnische Ukrainer und Tataren jetzt massenhaft die Krim verlassen werden und in andere Teile der Ukraine übersiedeln?
In der Westukraine gibt es mittlerweile etwa 500 Flüchtlinge aus der Krim, und zwar Ukrainer und Tataren. Die Tataren haben aber schon gesagt, dass sie die Krim nicht verlassen wollen. Sie wollen keinesfalls zu Russland gehören und haben das Referendum abgelehnt.
Einige Ostukrainer wünschen sich ebenfalls einen Anschluss an Russland. Droht die Abspaltung weiterer Landesteile?
Die Demonstrationen in der Ost- und Südukraine werden mit russischer Unterstützung organisiert. Daran nehmen in der Regel 500 bis 1000 Menschen teil, während die Gegendemonstrationen zumeist größer sind. Aber die prorussischen Demonstranten provozieren und sind teils gewalttätig. Damit liefern sie Russland einen Vorwand, um einzugreifen. Ich glaube, die Krim ist nicht Putins einziges Ziel.
Die EU will am Montag weitere Sanktionen gegen Russland beschließen. Was können solche Sanktionen bewirken?
Ob die Sanktionen greifen, hängt davon ab, wie weit Europa gehen wird. Sind die europäischen Länder bereit, negative Folgen für die eigene Wirtschaft in Kauf zu nehmen? Natürlich werden Sanktionen die russische Wirtschaft härter treffen, aber sie werden auch für Europa negative Konsequenzen haben. Kontensperrungen und Einreiseverbote sind unangenehm für die Oligarchen in Russland. Im Grunde genommen könnte das der Anfang vom Ende von Putin sein, aber das ist eine längerfristige Entwicklung.
Wie bewerten Sie die Haltung der Bundesregierung in diesem Zusammenhang?
Aus ukrainischer Sicht ist es ein Problem, dass einige deutsche "Russland-Versteher" die Interessen des Kremls mit den Interessen Russlands gleichsetzen. Wenn Putin kein Interesse daran hat, dass die Ukraine ein demokratischer Staat wird, dann gilt das ja nicht für das ganze Land. Diese Leute übersehen, dass neoimperialistische und fremdenfeindliche Tendenzen in der russischen Führung zugenommen haben und sie sich durch eine zu unkritische Haltung bestätigt fühlt.
Juri Durkot, ukrainischer Journalist und Übersetzer aus Lemberg, verfolgt die Entwicklungen in der Ukraine aus nächster Nähe und berichtet darüber für deutschsprachige Medien. Am Sonntag (16.03.2104) war er zu Gast im Hauptstadtstudio der Deutschen Welle.