Dutzende unschuldig in Norwegens Gefängnissen
5. November 2019Nach dem Bekanntwerden eines Sozialleistungsskandals in Norwegen bemüht sich die unter Druck geratene Regierung um Schadensbegrenzung. "Im Namen der Regierung bitte ich die Betroffenen und ihre Familien um Entschuldigung", sagte Arbeits- und Sozialministerin Anniken Hauglie im Storting, dem norwegischen Parlament. Alle Fakten müssten nun auf den Tisch gelegt und das widerfahrene Unrecht wiedergutgemacht werden, sagte Hauglie. Externe Ermittler sollen nun untersuchen, wie es zu dem Skandal kommen konnte.
Widerspruch zu europäischem Recht
Über Jahre hinweg hatte die norwegische Arbeits- und Sozialbehörde NAV geltendes Recht falsch ausgelegt: Sie hatten ein älteres norwegisches Gesetz angewandt, das Abwanderung von Sozialleistungen ins Ausland verhindern sollte und Leistungsempfänger dazu verpflichtet, vor Auslandsreisen eine Genehmigung einzuholen. Norwegen ist jedoch Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und als solches verpflichtet, die Grundfreiheiten der EU zu garantieren. Spätestens seit 2012 stand das norwegische Gesetz also im Widerspruch zu europäischem Recht und hätte nicht mehr angewandt werden dürfen.
Arbeitsunfähig und verurteilt
Trotzdem forderte die NAV rund 2400 Personen auf, ihre Unterstützung zurückzuzahlen, weil sie ohne vorherige Genehmigung ins europäische Ausland ausgereist waren. In mindestens 48 Fällen wurden die vermeintlichen Leistungsbetrüger sogar verurteilt, davon 36 zu kürzeren Haftstrafen. In norwegischen Medien kursieren verstörende Berichte über solche Fälle: Von der Krankenschwester etwa, die von einer Patientin verprügelt und arbeitsunfähig wurde, bevor sie von Freunden in Dänemark versorgt wurde. Weil sie dort von ihrer norwegischen Invalidenrente lebte, wurde sie dem Bericht zufolge zu elf Monaten Haft verurteilt.
Welche Dimension hat der Skandal?
Öffentlich bekannt wurde die falsche Rechtsauslegung der NAV vor gut einer Woche. Inzwischen werden laut norwegischem Rundfunk NRK Verbindungen zu möglichen weiteren Fällen geprüft. Außerdem soll geklärt werden, ob auch weitere Rechtsbereiche betroffen sind. Der Skandal könnte sich also durchaus noch ausweiten.