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DVD-Tipp im September: Pasolinis "Trilogie des Lebens"

Jochen Kürten
8. September 2011

Der italienische Regisseur überraschte zu Beginn der 70er Jahre sein Publikum mit einer erotischen Trilogie. Pasolinis Filme sind noch heute schwer einzuordnen. Ein Wiedersehen (auf DVD) lohnt auf jeden Fall.

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Pier Paolo Pasolini hinter der Kamera (Foto: dpa)
Pier Paolo PasoliniBild: dpa

Pier Paolo Pasolini war einer der großen Regisseure Italiens der Nachkriegszeit. Mit seinen Filmen, aber auch mit seinen literarischen Schriften, stieß er seit Mitte der 50er Jahre viele künstlerische und gesellschaftliche Debatten an. Er war ketzerischer Katholik und bekennender Homosexueller, Marxist und Feingeist, großstädtischer Intellektueller und Anhänger eines bäuerlich geprägten Italiens, derber Provokateur und sensibler Lyriker. All diese Prägungen flossen in sein Werk ein und lassen es noch heute ungemein vielseitig, aber auch widersprüchlich erscheinen.

Nach einigen filmischen Meisterwerken in den 60er Jahren überraschte Pasolini sein Publikum und vor allem die Kritik mit seiner Trilogie des Lebens. Die drei Filme "Il Decameron", "I Racconti di Canterbury/Canterbury Tales" und "Il Fiore delle mille e una notte" (dt. Titel: "Erotische Geschichten aus 1001 Nacht") gehen auf berühmte Vorlagen der europäischen Literatur zurück und kreisen alle um das erotische Leben ihrer Protagonisten. Die Filme sind jetzt auf DVD erschienen und ermöglichen eine Wiederbegegnung mit drei damals wie heute widersprüchlichen Werken.

Szene aus dem Film Il Decameron (Foto: Eurovideo)
Il DecameronBild: Eurovideo

"Il Decameron" (1970)

Boccaccios berühmte Novellensammlung diente als Vorlage. Acht Novellen werden hier von Pasolini mehr oder weniger eng miteinander verzahnt erzählt. Der Regisseur erklärte später, dass er sich mit der "Trilogie des Lebens" der "Darstellung des Körpers und dessen höchstem Symbol, dem Geschlecht aus historischen und ideologischen Gründen zugewandt habe ... um das Recht auf Darstellung (der Sexualität) zu demokratisieren und sexuelle Befreiung zu befördern".

Szene aus dem Film Canterbury Tales (Foto: Eurovideo)
I Racconti di CanterburyBild: Eurovideo

"I Racconti di Canterbury" (1971)

Hier ist es der mittelalterliche Verszyklus des englischen Dichters Geoffrey Chaucer, den Pasolini als Vorlage nahm: Verschiedene Pilger machen sich auf zur Kathedrale in Canterbury. Während dieser Reisen erzählen sie Geschichten und Anekdoten aus ihrem Leben. "Stilistisch noch uneinheitlicher, noch konfuser und primitiver montiert als 'Il Decameron', zeigt 'I Racconti di Canterbury' Pasolini auf einem künstlerischen Tiefpunkt" schreibt Wolfram Schütte in seiner Pasolini-Monografie (Hanser-Verlag). Die Jury der Berliner Filmfestspiele war offenbar anderer Meinung und verlieh dem Film einen Goldenen Bären.

"Il Fiore delle mille e una notte" (1974)

Schließlich verfilmte Pasolini 15 Erzählungen aus den "Märchen aus 1001 Nacht". Der Abschluss der Trilogie kam bei der Kritik besser weg: hier habe man erstmals ahnen können, was Pasolini "als Ausdruck einer Freude vorgeschwebt haben mag: Die Liebe zu den Menschen und ihren Körpern, zu Stadtlandschaften und einer archaischen Natur" (Wolfram Schütte).

Szene aus dem Film Il Fiore delle mille e una notte (Foto: Eurovideo)
Il Fiore delle mille e una notteBild: Eurovideo

Die drei Filme der Trilogie kamen damals beim Publikum gut an und gehörten zu Pasolinis größten kommerziellen Erfolgen - was wohl auch an der damals populären Sexfilmwelle im europäischen Kino lag. Dutzende Anzeigen und Prozesse wegen Pornografie-Vorwürfen lockten das Publikum an. Die Filme überzeugten aber auch die Jurys der internationalen Filmfestspiele. "Il Decameron" erhielt in Berlin einen Silbernen Bären, "I Racconti di Canterbury" ein Jahr später den Goldenen, "Il Fiore delle mille e una notte" den Sonderpreis der Jury in Cannes.

Schlampiges Genie

Die internationale Kritik war weniger gnädig und bezeichnete Pasolinis "Trilogie des Lebens" als Ausdruck einer künstlerischen Krise. Auch heute noch irritieren die Filme aufgrund ihrer vielen handwerklichen Mängel. Kamera, Schnitt, Dramaturgie erscheinen wenig professionell, ohne dass man den Eindruck gewinnt, hier habe einer ganz bewusst auf eine "amateurhafte" Inszenierungsweise gesetzt um größere Authentizität zu erreichen. Die deutsche Synchronisation tut ein Übriges.

Pasolini auf dem regiestuhl (Foto: IDFA)
Pasolini bei der ArbeitBild: IDFA

Pasolini distanzierte sich später von den Filmen: Sein "Widerruf der Trilogie ist der Widerruf seiner ästhetischen Utopien. Er erkannte, dass seine Vorstellungen von der proletarischen Jugend und von einem Subproletariat illusorisch waren. Seine Liebe wurde gebrochen." (Christoph Klimke) Trotz all dieser Einwände lohnt ein Wiedersehen dieser (Neben-)Werke eines großen italienischen Regisseurs. In ihnen lässt sich vieles studieren, was diesen einzigartigen Filmemacher ausgezeichnet hat: sein Umgang mit dem menschlichen Körper, sein Verhältnis zur (Homo-)Sexualität, seine Liebe zu einfachen, bäuerlichen Lebensstrukturen, die Lust am Erzählen, die Ablehnung sämtlicher gesellschaftlicher und künstlerischer Konventionen.

Die drei Filme sind beim Anbieter "Eurovideo" auf DVD erschienen.

Autor: Jochen Kürten

Redaktion: Gudrun Stegen