"Die Lage ist absolut katastrophal"
1. Oktober 2014DW: Herr Scholz, gerade wurde in den USA zum ersten Mal ein Ebola-Fall außerhalb von Afrika diagnostiziert. Wird sich die Seuche jetzt weltweit ausbreiten?
Jan-Philip Scholz: Ich glaube, dass man da relativ gelassen sein kann. Die Situation in westlichen Ländern ist eine ganz andere als in Westafrika. In den USA und auch in Europa gibt es funktionierende Gesundheitssysteme. Dieser eine Patient in den USA liegt auf einer Isolierstation und man weiß, mit welchen anderen Personen der Mann Kontakt hatte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies eine große Gefahr für die USA oder andere westliche Länder sein könnte.
In Westafrika dagegen sind bereits mehr als 3000 Menschen an Ebola gestorben. Sie waren vergangene Woche in Sierra Leone, um über den Kampf gegen das Virus zu berichten. Wie ist die Lage dort?
Absolut katastrophal. Das ganz große Problem ist, dass es in Sierra Leone wirklich an allem fehlt, um die Ebola-Patienten zu versorgen. Das Gesundheitssystem ist zum größten Teil zusammengebrochen. Vor allem fehlt es an Isolierstationen. Viele Kranke sind deshalb noch zu Hause bei ihren Familien und infizieren Angehörige oder auch Nachbarn. Und zahlreiche Krankenhäuser funktionieren nicht mehr, weil die Ärzte und Krankenschwestern Angst haben, dass sie es nicht nur mit Malaria und anderen Krankheiten zu tun haben, sondern auch mit Ebola. Es sind noch einige internationale Helfer im Land, etwa von "Ärzte ohne Grenzen" oder "Cap Anamur". Aber ansonsten werden dieses Patienten einfach nicht versorgt.
Manche Experten sagen, dass nicht nur die Gesundheitssysteme in Sierra Leone, Liberia und Guinea zusammenbrechen könnten; sie sprechen vom kompletten Staats-Kollaps. Befürchten Sie das auch?
Das ist auf jeden Fall nicht ausgeschlossen. Wenn sich die Seuche weiter verbreitet, wird das fatale Konsequenzen in vielen Bereichen dieser Staaten haben. Natürlich liegt die Wirtschaft am Boden. Die Menschen versuchen, so gut es geht, ein Alltagsleben aufrechtzuerhalten. Man kann schon noch auf Märkte gehen und einkaufen, Gemüse kaufen. Natürlich müssen sich die Menschen irgendwie versorgen. Aber abgesehen davon findet kein Wirtschaftsleben mehr statt. Und ein ganz großes Problem für die Zukunft wird sein, dass Ernten ausfallen. Dann wird Nahrung knapp und diese Länder sind weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Ich will nicht dramatisieren, aber diese Gefahr eines Kollapses besteht.
In Ihren Reportagen haben mich besonders die Bilder einer Ebola-Patientin beeindruckt, die aus einer Isolierstation herausrennt. Man spürt ihre Angst und Panik. Welches Bild ist Ihnen von Ihrer Reise nach Sierra Leone am stärksten im Kopf geblieben?
Eben dieses Bild der an Ebola erkrankten Frau. Sie so zu sehen: komplett dehydriert, komplett verwirrt, wie sie versucht, aus der Isolierstation zu fliehen. Es gibt eben nicht nur zu wenige Isolierstationen, sondern die vorhandenen funktionieren auch nicht richtig. Auch Ärzte dort sprechen von chaotischen Verhältnissen.
Im Inneren der Isolierstation, die wir besucht haben, konnten wir aus Sicherheitsgründen nicht drehen. Aber ich befürchte, dass dort katastrophale Verhältnisse herrschen und die Patienten nicht ausreichend mit Medikamenten und Nahrung versorgt werden. Ansonsten würde man solch eine Flucht, wie die der erkrankten Frau, nicht erleben.
Wie haben Sie sich in dieser Situation denn selbst vor dem Virus geschützt?
Mit einigen Regeln kann man das Risiko einer Infektion zwar nicht komplett ausschließen, aber doch sehr gering halten. Man muss sicherstellen, dass man nicht mit Körperflüssigkeiten von infizierten Menschen in Kontakt kommt. Über die Luft kann sich das Virus ja nicht verbreiten. Und es verbreitet sich nur über Menschen, die schon erkennbare Symptome haben wie Fieber oder Durchfall. Wenn man darauf achtet, dann ist das Risiko relativ gering. Zudem haben wir nicht direkt auf den Isolierstationen gedreht, auf denen die Ebola-Patienten liegen. Denn dort bräuchte man spezielle Schutzanzüge. Und um diese anzulegen bräuchte man wiederum eine spezielle Schulung. Deshalb haben wir gesagt: Unter diesen Umständen gehen wir nicht direkt auf Isolierstationen.
Wenn die Krankheit ausbricht, dann kann sie mit Fieber und Blutungen qualvoll zum Tod führen. Auch in Deutschland haben viele Menschen davor Angst. Geht man Ihnen aus dem Weg, wenn Sie erzählen, dass Sie gerade in Sierra Leone waren?
Das merkt man schon. Die Leute haben doch einen großen Respekt vor dieser Krankheit. Natürlich sind das zum Teil irrationale Ängste. Und das ist auch darauf zurückzuführen, dass die Menschen nicht gut genug darüber informiert sind, wie sich Ebola verbreitet. Aber ich kann das auch nachvollziehen. Es ist nun mal eine erschreckende Seuche, die sich gerade in Westafrika verbreitet. Und dass die Menschen Angst haben, dass sich Ebola auch in anderen Weltregionen ausbreitet, das ist nachvollziehbar.
Jan-Philip Scholz berichtet als DW-Reporter aus Afrika.
Das Gespräch führte Peter Hille.