Dänemark will den Asylprozess auslagern
3. Juni 2021Die regierenden Sozialdemokraten in Dänemark haben als erstes Land in der EU im Parlament ein Gesetz verabschiedet, wonach die Verfahren von Asylbewerbern künftig in Drittländer ausgelagert werden sollen. Sie müssten demnach an der dänischen Grenze einen Antrag stellen, um dann in Aufnahmezentren in andere Länder ausgeflogen zu werden. Dort würden sie dann auf die Abwicklung ihres Asylverfahrens warten. Doch noch hat Dänemark keine Partner für sein Vorhaben.
Die Regierung in Kopenhagen fährt seit Jahren einen besonders harten Kurs beim Umgang mit Flucht und Migration. Vor kurzem erklärte sie die syrische Hauptstadt Damaskus zu einer sicheren Region, um Kriegsflüchtlinge aus Syrien dorthin abzuschieben. Premierministerin Mette Frederiksen hat "Null Asylbewerber in Dänemark" zum Ziel ihrer Politik erklärt. Auch eine Zwangsumsetzung von Geflüchteten, weil bestimmte Stadtteile in dänischen Städten angeblich zu "Ghettos" geworden seien, gehört zu diesem Programm.
Lager auf dem Kontinent Afrika?
Aus der EU kommt Kritik an den neuen Plänen der dänischen Regierung: "Wir teilen die Bedenken des Hohen Flüchtlingskommissars der UN. Eine ausgelagerte Bearbeitung von Asylverfahren stellt den Zugang zu Schutz fundamental infrage. Dies ist mit EU-Recht oder dem neuen Pakt zu Migration und Asyl nicht vereinbar", rügte die EU-Kommission in Brüssel am Mittag in ungewohnt harscher Form. Man wolle das dänische Gesetz sorgfältig untersuchen und über weitere Schritte entscheiden. Das dänische Opt-out in der Rechts- und Innenpolitik schafft allerdings eine besondere Lage.
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hatte den dänischen Plan scharf zurückgewiesen: Er widerspreche den Grundsätzen der internationalen Flüchtlingszusammenarbeit, erklärte Henrik Nordentoft, Beauftragter für die nordischen und baltischen Länder. "Mit einer dermaßen drastischen und einschränkenden Änderung der Gesetzgebung riskiert Dänemark einen Dominoeffekt in anderen europäischen Ländern, die auch die Möglichkeit untersuchen dürften, den Schutz für Flüchtlinge auf ihrem Boden zu begrenzen."
Dänemark versucht jetzt eine Idee umzusetzen, die früher auch schon in der europäischen Debatte untersucht worden war. Alle Reisen von interessierten Politikern nach Marokko, Tunesien oder Algerien, die als geeignete Partner erschienen, blieben jedoch erfolglos. Die UN-Flüchtlingsorganisation IOM verweigerte ihre Unterstützung und die praktischen und rechtlichen Probleme erwiesen sich am Ende als unüberwindbar.
Die Regierung in Kopenhagen nutzt jetzt diese früheren Diskussionen und argumentiert, das geltende Asylsystem sei inhuman, es würde die Flüchtenden nur den Schmugglern ausliefern und die Reise über das Mittelmeer sei lebensgefährlich. Integrationsminister Mattias Tesfaye, selbst Sohn eines äthiopischen Migranten in Dänemark, erklärt außerdem: "Ein System zum Transfer von Asylbewerbern muss natürlich innerhalb der internationalen Regeln eingerichtet werden".
Die Logik der Abschreckung
In dänischen Medien werden jetzt Ägypten, Eritrea und Äthiopien als mögliche Partnerländer genannt. Ein mutmaßliches Abkommen mit Ruanda jedoch erwies sich als politisches Täuschungsmanöver. Minister Tesfaye war im April nach Kigali gereist und hatte dort ein Abkommen mit unterzeichnet, das er danach in der Öffentlichkeit als Vereinbarung über Lager für Asylbewerber verkaufte. Bislang hat sich kein Staat bereit erklärt, eines dieser Asylzentren bei sich einzurichten, was der Regierung in Kopenhagen viel Spott einbrachte.
Das ganze sei nur Theater gewesen, erklärt der Migrationsforscher Martin Lemberg-Pedersen von der Universität Kopenhagen. Als die Regierung Kagame das Papier schließlich veröffentlichte, habe darin nichts über solche Lager gestanden. Der Minister musste im Parlament seine Irrtümer eingestehen.
Lemberg-Pedersen sagt zu den Plänen und dem Vorgehen seiner Regierung: "Es ist ein extrem inhumanes und kontraproduktives Gesetz. Beunruhigend ist dabei, dass es in eine quasi humanitäre Argumentation verpackt ist." Den Versuch, ausgerechnet Ruanda als politischen Partner zu gewinnen, hält er für absurd. Israel habe ab 2014 Tausende von Flüchtlingen aus Sudan und Eritrea dorthin abgeschoben und der Regierung in Kigali 5000 Dollar pro Kopf gezahlt. Die Menschen aber hätten in Ruanda keine Hilfe bekommen und die meisten seien erneut geflüchtet, berichtet der Migrationsforscher.
Das neue Gesetz habe Auswirkungen auf das gesamte Asylsystem in Dänemark, das zunehmend unter dem Blickwinkel von Gefängnissen, erzwungenen Abschiebungen und totalitären Polizeimaßnahmen gesehen werde. "Dänemarks Zuwanderungspolitik wird seit einigen Jahren von der Logik der Abschreckung beherrscht", sagt der Forscher.
Eine "skrupellose" Politik Dänemarks
Die Grünen-Europaabgeordnete Margrete Auken kann sich die politische Wandlung ihres früheren Parteikollegen Tesfaye nicht erklären. Er sei von den Grünen zu den Sozialdemokraten gewechselt und seitdem wohl von der strikten Fraktionsdisziplin gebunden. Mette Frederiksen aber versuche, "der dänischen Volkspartei so nahe wie möglich zu kommen", um aus der rechten Wählerschaft zu fischen.
Auken kritisiert diese Politik als unsolidarisch und beschämend. Die Probleme der Flüchtlingspolitik müssten in europäischer Solidarität gelöst werden. Dieser Vorstoß "nimmt uns die Glaubwürdigkeit und beschädigt politische Bündnisse", sagt die Abgeordnete. Syrische Flüchtlinge etwa würden weiterwandern nach Deutschland und Schweden, wenn Dänemark drohe, sie rauszuwerfen.
"Die Verantwortung für Asylbewerber auszulagern ist unverantwortlich und unsolidarisch", erklärt Charlotte Slente vom Dänischen Flüchtlingsrat. Ähnliche Modelle wie in Australien oder die Hotspots in Griechenland hätten ernsthafte Fälle von Gefangennahme, physischer Gewalt, langsamen Asylverfahren und fehlendem Zugang zu Gesundheitsversorgung und Rechtsbeistand gebracht.
"Es ist auch unklar, wie ein Aufnahmezentrum in einem Drittland verwaltet würde, denn Dänemark ist verantwortlich für den Schutz der Rechte von Asylbewerbern und Flüchtlingen", erklärt die Organisation. Die Zentren sollen dann von Dänemark finanziert, aber vom Drittland verwaltet werden.
"Tatsache ist, dass das Parlament ein Gesetz verabschiedet hat für ein potentielles Modell von Asylverfahren, das nicht existiert und von dem wir deshalb nicht wissen, wie es tatsächlich aussehen soll", so Slente. Das Parlament habe blind abgestimmt. Und Amnesty International warnte darüber hinaus, dass jeder Versuch Dänemarks, Asylbewerber in ein Drittland zu schicken, nicht nur "skrupellos, sondern potentiell rechtswidrig" sei.