Ecuador in der Hand der Indigenen
10. Oktober 2019Tausende Demonstranten versammelten sich am Mittwoch in der Hauptstadt Quito, um den Druck auf Präsident Lenín Moreno zu erhöhen. Die Konföderation der indigenen Völker (Conaie) hatte zu einem Generalstreik aufgerufen. Sie ist die treibende Kraft hinter den Protesten. Blockaden und Streiks lähmen mittlerweile das ganze Land.
Tags zuvor konnten Demonstranten zeitweise sogar das Parlament besetzen. Präsident Moreno sah sich auch deshalb gezwungen, den Sitz seiner Regierung in die Küstenstadt Guayaquil zu verlegen. Im ganzen Land herrscht ein von der Regierung verhängter Ausnahmezustand. Die ursprüngliche Frist von 60 Tagen ist aber mittlerweile vom obersten Gericht auf die Hälfte reduziert worden.
Großer politischer Einfluss
Die Protestwelle begann vor knapp einer Woche, nachdem die Regierung Subventionen für Treibstoff gestrichen hatte, um den Anforderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu genügen.
Um den enormen gesellschaftlichen und politischen Einfluss der indigenen Bewegung in Ecuador zu verstehen, hilft ein Blick auf die Bevölkerungsstruktur des Landes. In Ecuador haben von den 17 Millionen Einwohnern mehr als 40 Prozent eine indigene Herkunft. Dies erklärt sich aus der starken Besiedelung unter der Herrschaft der Inka und aus der relativ geringen Zuwanderung aus Europa.
Interessensvertretungen der verschiedenen indigenen Völker gibt es in Ecuador schon seit Ende der 1940er Jahre, doch erst mit der Gründung der Dachorganisation Conaie 1986, entstand ein schlagkräftiger und innenpolitisch einflussreicher Machtfaktor. Mittlerweile reicht der gesellschaftliche Einfluss der Conaie weit über den indigenen Anteil der Bevölkerung hinaus.
"Die indigene Bewegung in Ecuador ist zu einem Schmelztiegel sozialer Kräfte in Ecuador geworden", sagt die Soziologin Kati Maribel Álvarez Marcillo von der Universität in Quito im Gespräch mit DW. "Gewerkschaften, Arbeiter und sogar Spediteure suchen aufgrund der Macht der Conaie Zuflucht und Unterstützung unter ihrem Dach", ergänzt Álvarez Marcillo
Kampf gegen Neokolonialismus
Dieses Selbstverständnis als Vertreter der Interessen der indigenen Bevölkerung, aber auch der sozial Benachteiligten manifestiert sich auch im Programm der Conaie, das sich auf ihrer Webseite nachlesen lässt. Abgesehen von ethnischen Interessen wie dem Schutz der Kultur, der Sprache der indigenen Völker, finden sich auch Punkte, die Umweltschützer und Gegner des Neoliberalismus ansprechen: der Schutz indigener Gebiete vor Ölbohrungen ausländischer Unternehmen sowie der Kampf gegen "Neokolonialismus" und Privatisierungen.
Folgerichtig lautet die wichtigste Forderung, die der Chef der Conaie, Jaime Vargas, im aktuellen Konflikt mehrfach wiederholt, die Rücknahme der als neoliberal empfundenen Reformen der Regierung, zu der zentral die Streichung der Benzinpreissubventionen gehört.
"Die indigene Bewegung in Ecuador wendet sich gegen die Strukturen des etablierten Wirtschaftssystems und gegen die Auflagen des Internationalen Währungsfonds, die von der Regierung von Präsident Moreno ausgeführt werden", meint Álvarez Marcillo.
Diesem Befund stimmt im Wesentlichen auch die Ecuador-Expertin des Hamburger Giga-Instituts, Ximena Zapata, zu: "Die Vertreter der Conaie erklärten auf einer Pressekonferenz, dass es auch um andere Maßnahmen der Regierung geht, wie die Entlassungen im öffentlichen Dienst, Lockerungen des Arbeitsrechts, die Steueramnestie für die Wohlhabenden, oder die Begrenzung der Ölförderung in bestimmten indigenen Gebieten."
Schon vorher Präsidenten gestürzt
Bei der offenen Konfrontation zwischen der indigenen Bewegung und dem Präsidenten will bisher keine der beiden Seiten nachgeben. Beunruhigend dürfte für den Präsidenten auch ein Blick in die jüngere Geschichte seines Landes sein. Zwischen 1997 und 2006 erlebte Ecuador den Sturz von drei demokratisch gewählten Regierungen. Bei allen dreien spielte die indigene Bewegung des Landes eine wichtige Rolle. Die Conaie unterstützte beispielsweise die Straßenproteste gegen die Regierung von Präsident Jamil Mahuads, die schließlich im Jahr 2000 in einen Militärputsch mündeten.
Mit dem Export von Bananen, Öl und Textilien erzielt Ecuador auf dem Weltmarkt gute Einnahmen. Trotzdem lebt jeder zweite Bürger unterhalb der Armutsgrenze. Der kleine Andenstaat ist mit 45 Milliarden US-Dollar hochverschuldet und hängt am Tropf der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. Der Spielraum von Präsident Moreno scheint begrenzt.