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Literatur

Edgar Hilsenrath: "Der Nazi & der Friseur" 

Aygül Cizmecioglu spe
6. Oktober 2018

Die Geschichte der Shoah als bitterböse Verwechslungskomödie, erzählt von einem Massenmörder. Nach sechzig Absagen und erst nach dem Erfolg in den USA wurde Hilsenraths Buch in der Bundesrepublik veröffentlicht.

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Schriftsteller Edgar Hilsenrath
Bild: Imago/Gerhard Leber

Die Literaturgeschichte ist voll von gebrochenen Helden und von Opfern, die sich hochboxen. Von Bösewichten, die im tiefsten Inneren doch ein gutes Herz haben und unser Mitleid gewinnen. Aber dieser Max Schulz ist anders. Einen solchen blutbesudelten Wendehals und begnadeten Lügner hat man selten beschrieben gefunden. Und ausgerechnet dieser skrupellose Aufschneider erzählt uns hier seine Geschichte. Und zwar im Plauderton eines Schelmenromans. 

Es ist die Geschichte des Max Schulz', Sohn eines Kleinbürgers und einer Hitler-gläubigen Dirne. Zuhause den Schlägen und Vergewaltigungen des Stiefvaters ausgesetzt, sucht er Zuflucht bei der jüdischen Familie Finkelstein, mit deren Sohn er sich anfreundet.  

"Mein Freund Itzig war blond und blauäugig, hatte eine gerade Nase, feingeschwungene Lippen und gute Zähne. Ich dagegen, Max Schulz, hatte schwarze Haare, Froschaugen, eine Hakennase, wulstige Lippen und schlechte Zähne."

"Der Nazi & der Friseur" von Edgar Hilsenrath

Vom Massenmörder zum Opfer

Edgar Hilsenraths absurde Szenen zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit uralten Klischees und Vorurteilen offensiv umgehen, sie gar ins Lächerliche ziehen. Eine groteske Wendung reiht sich an die nächste. Max Schulz und sein Jugendfreund kommen beide ins Konzentrationslager – der eine als Häftling, der andere als SS-Mann. Der eine wird ermordet, der andere zum Schlächter. 

"Ich erhielt den Befehl, die Gefangenen zu erschießen. Wie gesagt: Viele waren es nicht mehr. Ich hatte sie gezählt: 89. Die letzten Überlebenden. 89? Was ist das schon! Die kann ein einziger Mann erledigen."

Und so erschießt Max Schulz ohne Skrupel auch die gesamte Familie Finkelstein. Aus dem unscheinbaren kleinen Jungen ist inzwischen ein kaltblütiger Killer geworden. Es gehört zu den grotesken Höhepunkten dieses Buches, dass ausgerechnet dieser NS-Massenmörder nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem 'überzeugten' Juden wird. 

Er lässt sich beschneiden, eine KZ-Nummer eintätowieren und nimmt die Identität seines ermordeten Jugendfreundes Itzig an. Schließlich wandert er nach Palästina aus, wird zum heimlichen Kriegshelden in der israelischen Armee, um sich dann als Friseur in dem neugegründeten Staat niederzulassen. Was für eine absurde Karriere!

Dem Tod abgerungen

Den dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte in eine bitterböse Verwechslungskomödie zu packen und ausgerechnet einen Massenmörder all diese Ungeheuerlichkeiten erzählen zu lassen, erforderte eine kräftige Portion Mut. Der satirische Umgang mit der Judenvernichtung war lange Zeit ein absolutes Tabu. In Nachkriegsdeutschland lehnten unzählige Verlage Edgar Hilsenraths Manuskript ab. Erst nachdem "Der Nazi & der Friseur" in der englischen Übersetzung ein Erfolg in den USA wurde, fand sich 1977 ein deutscher Verleger. 

Symbolbild Konzentrationslager mit der Aufschrift Arbeit macht frei und der Flagge Israels
Mit seiner erfundenen Biografie lebt der Massenmörder Max Schulz in Israel weiter.Bild: AP/DW

Edgar Hilsenrath selbst war nur knapp der Shoah entkommen. Er schrieb Bücher, die im wahrsten Sinne des Wortes dem Tod abgerungen waren. Vielleicht konnte er gerade deshalb so ein Störfeuer der Erinnerung entfachen. Für ihn lag das Grauen in der Gewöhnlichkeit, das Böse hatte eine Allerweltsfratze und kam auf leisen Sohlen daher. In diesem Dickicht der Abscheulichkeiten konnten sich Täter sogar zum Opfer stilisieren. Hilsenrath entschied, sich dieser Ungeheuerlichkeit in Form einer Groteske zu nähern, die Aussichtslosigkeit mit Witz ad absurdum zu führen. 


Edgar Hilsenrath: "Der Nazi & der Friseur" (1977), Eule der Minerva Verlag

Edgar Hilsenrath wurde 1926 in Leipzig als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Das Jahr 1938 bedeutete für ihn den Beginn einer langen Odyssee, erst 1975 kehrte er wieder nach Deutschland zurück. Bekannt wurde er vor allem als Autor der Romane "Nacht" (1964), "Der Nazi & der Friseur" (Erstveröffentlichung auf Englisch 1971) und "Das Märchen vom letzten Gedanken" (1989). Für seine Werke wurde er vielfach ausgezeichnet. Dramatisiert werden "Der Nazi & der Friseur" und "Fuck America" (1980) aktuell auf deutschen und internationalen Bühnen gespielt. Hilsenrath starb am 30. Dezember 2018 in Wittlich (Rheinland-Pfalz).