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Zu Risiken und Nebenwirkungen

Nastassja Shtrauchler16. Oktober 2015

Vor Einbruch des Winters suchen die Kommunen fieberhaft nach Unterbringungsmöglichkeiten für die Flüchtlinge. Mancher Mieter einer Wohnung im Besitz einer Stadt erhält die Kündigung. Sozialer Sprengstoff.

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Hamburg Wilhelmsburg Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge Zelte (Foto: Christian Charisius/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/C. Charisius

Unzählige Versuche dauert es, bis Bernd Nießen an sein Telefon geht. Vor ein paar Tagen hat er seine Geschichte einer großen deutschen Boulevardzeitung erzählt. Seitdem gehen Fernsehteams, Radio-und Printjournalisten in seiner Wohnung ein und aus. Den 80 Quadratmetern in einem 300 Seelen-Dorf, um die sich alles dreht.

Im August 2014 bekamen er und seine Frau Anita Post von ihrem Vermieter, der Stadt Mechernich: Es war die Kündigung. Bis zum 31. Mai 2015 müssten sie aus den Räumen ausgezogen sein, weil man hier - grob zusammengefasst - Flüchtlinge unterbringen müsse. Der Kommune stünden nur "im begrenzten Umfang Unterkünfte zur Verfügung" und so sei man dazu angehalten "die von Ihnen angemietete Wohnung unter dem Gesichtspunkt des Eigenbedarfs zu kündigen", heißt es in dem Schreiben.

Die Wohnung liegt in der ersten Etage einer ehemaligen Landschule in Kallmuth, einem kleinen Ort ohne Laden und Telefonzelle, wo jeder jeden kennt. "Einmal in der Woche kommt der Eiermann", fügt Nießen ironisch hinzu. Der 60-Jährige wurde hier geboren, seine Frau im Nachbarort. Eines ihrer vier Kinder ist auch hier geblieben. Mit Geld aus eigener Tasche hätten sie die Wohnung renoviert, eine neue Küche eingebaut. Ausziehen komme für sie nicht in Frage, sagt Nießen. Er werde "bis aufs Blut" kämpfen. Zwei Verhandlungstermine vorm Amtsgericht hat es bereits gegeben. Aktuell steht ein Vergleichsvorschlag des Gerichts im Raum. Darin werden dem Ehepaar Nießen 8000 Euro angeboten und ein Aufschub des Auszugs bis Ende des Jahres. "Was hab ich davon?", fragt Nießen provokant. Und fügt hinzu: "Das mach ich nicht. Keine Sorge."

Kommunen auf der Suche nach Flüchtlingsunterbringungen Bernd und Anita Nießen mit ihren Enkelkindern in ihrer Wohnung in Kallmuth (Foto: privat/Familie Nießen)
Bernd Nießen: "Werde bis auf's Blut kämpfen"Bild: privat

Wenig Fläche für viele Flüchtlinge: Kommunen stehen unter Druck

Eine einfache Geschichte könnte man meinen, bei der die Guten und die Bösen schnell identifiziert sind. Doch so simpel ist es nicht. Bis zum Wintereinbruch müssen tausende Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, Eritrea und anderen Ländern in winterfesten Quartieren untergebracht werden. In den eilig eingerichteten Zeltstädten können sie nicht bleiben, doch den Städten fehlt der Platz. So wie beim Beispiel Mechernich.

Thomas Hambach, Erster Beigeordneter Stadt Mechernich (Foto: pp/Agentur ProfiPress)
Hambach: "Fall Nießen ist bedauerlich. Geht aber nicht anders"Bild: pp/Agentur ProfiPress

27.000 Einwohner hat die Kommune insgesamt, verteilt auf 44 Ortschaften. Aktuell hätte man 380 Flüchtlinge, sagt Thomas Hambach, stellvertretender Bürgermeister der Stadt. Bis zum Ende des Jahres rechne man mit mehr als 500. "Wir haben einfach nur wenig Fläche und die wollen wir für die Erfüllung unserer Pflichtaufgaben nutzen", so Hambach.

Die Entscheidung, für die Unterbringung von Flüchtlingen auf Wohnungen im Stadteigentum zurückzugreifen, mache man sich nicht leicht, erklären auch andere Bürgermeister. Die Kündigung in Mechernich ist offenbar ein Fall, wie er in ganz Deutschland vorkommt. Solche Kündigungen erlebten zum Beispiel Mieter in den Städten Nieheim, Mülheim an der Ruhr, Niederkassel, Breidenbach, Herbrechtingen, Eschbach und Singen. Ihre Verfahren laufen meist noch. Es handele sich um "absolute Einzelfälle", erklärte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, zu den Kündigungen durch Kommunen.

Die Fälle sind häufig willkommenes Futter für fremdenfeindliche Polemik gegen "Ausländer" und "Flüchtlinge", aber auch für Hasstiraden gegen die politischen Entscheider in Deutschland.

Schwierige Rechtslage und Verschwörungstheorien

Bei näherer Betrachtung ist der Sachverhalt rechtlich äußerst schwierig, denn die Kommunen berufen sich bei ihren Kündigungen auf den sogenannten Eigenbedarf. Der gilt jedoch als ganz besonderer Kündigungsgrund. Nur im Ausnahmefall berechtige der "Eigenbedarf" den Vermieter, das Mietverhältnis aufzukündigen, erklärt Thomas Hänsel, Anwalt für Mietrecht und Rechtsvertreter der Familie Nießen. "Der Vermieter muss dann auch entsprechend begründen, warum er kündigt." Zum Beispiel durch den eigenen Einzug oder den Einzug naher Familienangehöriger. Im Falle der Nießens sehe er das Problem, dass die Stadt keine natürliche Person, sondern eine Körperschaft sei, die ja gar nicht selbst einziehen könne.

Thomas Hänsel Rechtsanwalt für Mietrecht (Foto: Marike Lotz-Colditz)
Hänsel: "Verfahren ist zum jetzigen Zeitpunkt offen"Bild: Marike Lotz-Colditz

Weil die Unterbringung von Flüchtlingen den Kommunen aber gesetzlich vorgeschrieben ist, könnten die Nießens am Ende das Nachsehen haben. Die Befugnisse des Staates sind weitreichend. Bernd Nießen hat bereits angekündigt, bis vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen. Ohnehin vermutet er eine Art Komplott, angeführt vom Ortsvorsteher. So habe er die Kündigung erhalten, nachdem er auf mehrere Mängel in der Mietswohnung hingewiesen hatte. " Nießens Anwalt beschwichtigt: "Ob das in einem Zusammenhang steht, kann man nur vermuten."

Berlin Flüchtlinge frieren vor dem LaGeSo (Foto: Kay Nietfeld/dpa)
Der Kälte ausgesetzt: Bis zum Winter müssen die Flüchtlinge untergebracht werden. Allein der Platz fehltBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Zwei Wochen hat die Stadt nun Zeit, auf den Vergleichsvorschlag des Gerichts zu reagieren. Sollte sie sich doch noch mit den Nießens einigen, würden zehn Flüchtlinge in die 80 Quadratmeter in dem 300-Seelen-Dorf einziehen. Die Nähe der Wohnung zum Dorfkindergarten war offenbar ausschlaggebend. So wolle man die Ankommenden bestmöglich integrieren, heißt es von offizieller Stelle.

Nießen hält das für eine Schnapsidee. Hier draußen gäbe es sonst nur Bäume, Felder und Bauernhöfe."Die sind doch nicht ganz dicht", fügt er hinzu. Mit "die" meint er die Stadt. Gegen die Menschen, die aus der Fremde zu uns kommen, habe er aber prinzipiell nichts. Im Gegenteil. Sein Sohn besitzt eine Tiefbau-Firma. "Wir hoffen, dass einige der Flüchtlinge eines Tages bei uns arbeiten."