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Glaube

Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu

18. März 2022

Fasten verbindet und lag auch 2021 im Trend – trotz Pandemie. Sie hat gezeigt: Fasten ist keine Geißelung, sondern hat viel mit Freiheit zu tun.

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Chile | Atacamawüste
Bild: mcphoto/united-archives/picture alliance

»Verzicht? Nein danke! Nach mehreren Shutdowns, mitten in einer Pandemie, will ich nicht auch noch die wenigen Freuden begrenzen, die mir noch bleiben. Ich verzichte auf den Verzicht!« Ähnlich schrieben es im vergangenen Jahr viele Leser:innen an uns im ökumenischen Verein Andere Zeiten. Gefastet haben sie trotzdem und tun es auch in diesem Jahr. Rund 15 000 Menschen nehmen an unserer Fastenaktion 7 Wochen anders leben teil, bei der wir die Leser:innen mit wöchentlichen Briefen durch die knapp sieben Wochen von Aschermittwoch bis Ostern begleiten. Und mit etwa 52 000 Teilnehmer:innen erhielt unser Fastenwegweiser wandeln im Pandemiejahr 2021 so viel Zulauf wie nie zuvor. Wie es in diesem Jahr angesichts des Krieges in der Ukraine sein wird, wissen wir nicht. Aber erste Rückmeldungen zeigen: Das Gefühl von Ohnmacht und die Sorge und Angst sind kein Grund, das Fasten ganz aufzugeben, sondern eher das Vorhaben abzuändern. Vielleicht sprechen die Menschen täglich ein Gebet für die Menschen im Kriegsgebiet oder sie denken sich eine Aktion aus, um ihre Solidarität mit der Ukraine zu bekräftigen.

Beim Fasten kann jede:r selbst entscheiden – und gewinnt dadurch ein Stück Freiheit zurück. Angesichts der ständig neuen Beschlüsse und Einschränkungen in der Pandemie haben viele Menschen das Gefühl, nur passiv auf die äußeren Umstände reagieren zu können. Da ist das Fasten eine willkommene Möglichkeit, um selbst Entscheidungen treffen zu können und das Leben für eine begrenzte Zeit bewusst zu verändern. Während der Fastenzeit muss man sich dafür nicht lange rechtfertigen. Der Verweis auf das Kirchenjahr reicht.

Das Zitat des Schriftstellers Ödön von Horváth »Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu« ist jährlich das Motto unserer Briefaktion 7 Wochen anders leben. Diese Haltung ist keine Aufforderung zur Entsagung, sondern eine Ermunterung, uns für sieben Wochen auf die Suche nach einer anderen Version unserer selbst zu machen. Der Versuch, einmal anders zu leben, gelingt vor allem in Gemeinschaft. In vielen Briefen und E-Mails berichten uns die Leser:innen in den Wochen vor Ostern von ihren Erfahrungen. Besonders mitreißend ist für mich aber der direkte Austausch der Teilnehmer:innen untereinander. Im Fastenforum von Andere Zeiten leben manche Teilnehmer:innen in einer virtuellen Wohngemeinschaft zusammen, verfassen Gedichte, sprechen sich gegenseitig Mut und Motivation zu, teilen ihre Gedanken zu den Impulsen unseres Fastenwegweisers und diskutieren kontrovers über aktuelle Themen. Sie teilen das Fasten – und dieses Teilen ist für mich ein ganz neuer Aspekt an der Fastenzeit.

Die Fastenbeispiele aus der Bibel klingen meist eher einsam. König David beispielsweise fastet aus Buße, als das aus der illegitimen Beziehung mit Batseba stammende Kind im Sterben liegt. Er hört auf zu fasten, als es gestorben ist. Mose fastet auf dem Sinai, um sich auf seine Gottesbegegnung vorzubereiten. Und Elia wird durch sein 40-tägiges Fasten nach dem großen Blutvergießen auf dem Karmel so sensibel, dass er Gott in einem Windhauch spüren kann. Auch Jesus fastet nach dem Vorbild von Mose und Elia. Die 40 Tage Nahrungsentzug machen den frisch Getauften so stark, dass er den listigen Versuchungen des Satans widerstehen und sich ganz auf seinen eigentlichen Auftrag konzentrieren kann.

Fasten muss jeder für sich allein, schon klar. Aber einsam muss man dabei nicht sein. In der Trauer um Jesus waren seine Jünger vereint, nach seiner Auferstehung gaben sie sich untereinander die frohe Kunde weiter. So ist Ostern vielleicht das Fest der Gemeinschaft schlechthin. Wir Christen haben erkannt, welche Lücke nach Jesu Tod entstand – und dass es an uns ist, sie gemeinsam zu füllen.

 

Linda Giering I Redakteurin bei Andere Zeiten.
Bild: Nicole Malonnek

Linda Giering ist Redakteurin bei Andere Zeiten und ist durch den Gemeinschaftsaspekt zu einem Fan der Fastenzeit mutiert. In diesem Jahr hat sie sich vorgenommen, sieben Wochen lang anderen Menschen bewusst in die Augen zu gucken – und ist gespannt, wie sich ihre Begegnungen dadurch vertiefen. Weitere Informationen zu den Fastenaktionen 7 Wochen anders leben und wandeln des Vereins gibt es unter www.anderezeiten.de.