Wie das Ausland Genscher sah
2. April 2016"Man sagt, dass es in der Politik keine Freunde geben kann. Das stimmt nicht. Hans-Dietrich Genscher war in den letzten Jahren mein richtiger Freund. Ich habe einen Freund verloren", sagte der russische Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow in Moskau. Der herausragende Staatsmann Genscher habe wesentlich zum Ende des Kalten Krieges beigetragen. Ihm wurde Leichtgläubigkeit vorgeworfen. Nachdem Deutschland wiedervereint war, mussten seine Kritiker zugeben, dass er Recht hatte", sagte Gorbatschow.
Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger hat betroffen auf den Tod seines einstigen Kollegen Hans-Dietrich Genscher reagiert. "Ich werde einen geschätzten und langjährigen Freund vermissen", erklärte der 92-Jährige in New York. Kissinger hob hervor, dass Genscher eine besondere Rolle in der Vereinigung Deutschlands, dem Aufbau der Europäischen Union und der Entwicklung einer friedlichen internationalen Ordnung gespielt habe. Er charakterisierte seinen früheren Kollegen und Vertrauten als "intelligent, weise und menschenfreundlich".
Gestalter des neuen Europas
Der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak hat sich von der Nachricht vom Tod des langjährigen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher erschüttert gezeigt. "Hans-Dietrich Genscher war ein großartiger Mensch, den ich schon als Kind bewunderte. Ich empfinde es als großes Glück, dass ich ihm als slowakischer Außenminister vor zwei Jahren eine der höchsten Auszeichnungen unseres Landes verleihen konnte. Er spielte eine außerordentliche Rolle bei der Gestaltung des neuen Europa und der Überwindung der europäischen Teilung."
Verlust einer Ausnahmepersönlichkeit
Auch der tschechische Außenminister Lubomir Zaoralek würdigte Genscher als eine "Ausnahmepersönlichkeit" gewürdigt. Schwerlich finde sich jemand, der wie Genscher die Hoffnung auf die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands und Europas verkörpert habe, so der Sozialdemokrat. "Weil er selbst aus Ostdeutschland stammte, hat er die Teilung nie anerkannt, ohne aber den bestehenden Graben zwischen Ost und West zu vertiefen", merkte Zaoralek an. "Nicht nur die FDP, sondern auch Deutschland und Europa verlieren mit Hans-Dietrich Genscher eine Ausnahmepersönlichkeit", fügte der 59-Jährige hinzu.
Medien würdigen politische Arbeit
Auch in der internationale Presse war der Tod Genschers ein Thema. So hob die Moskauer Regierungszeitung "Rossijskaja Gaseta" die Leistungen des FDP-Politikers hervor: Sein Steckenpferd seien die Beziehungen zu Russland gewesen. Der Politiker habe die deutsche Regierung beständig vor einer Eskalation im Verhältnis zu unserem Land gewarnt. Der frühere Außenminister habe den Westen für seine ungeschickte Russland-Politik kritisiert. Hans-Dietrich Genscher habe bemerkt, dass ohne Russland eine Lösung des Atomstreits mit dem Iran nicht möglich gewesen wäre. Darüber hinaus hab Genscher die Sanktionen gegen Russland scharf kritisiert, indem er sagte, dass sich der Westen damit selbst ein Bein stelle. Die Stimme dieses wirklich herausragenden Politikers und Diplomaten werde in Deutschland fehlen. Genscher habe sich für Dialog zur Lösung von schwierigen Fragen eingesetzt und immer zu besonnenen Schritten in den Beziehungen zu Russland gemahnt.
Guardian: Liberal und verschlagen
Der britische "Guardian" schreibt: "Er schaffte es sogar zu einem eigenen Markenzeichen, "Genscherismus", was seinen anhaltenden Glauben in die europäische Einheit und die Notwendigkeit der Ost-West-Zusammenarbeit in einem geteilten Europa bezeichnete. Doch es stand auch für seinen täuschenden, informellen Stil seines Vorgehens, das er mit großer Effektivität einsetzte, um seine wohlgeplanten, oftmals verschlagenen Strategien durchzusetzen. Seine Ansichten waren echt liberal. Aber er war verschlagen, und, obwohl seine Kollegen seine Fähigkeiten schätzen, so hatten sie doch einen kritischeren Blick auf ihn als die Öffentlichkeit."
Meister der Diplomatie
Der britische "Telegraph" geht auf die Ostpolitik Genschers ein. "Er argumentierte, dass Gorbatschow eine Chance zur gemeinsamen Abrüstung geschaffen hatte und für Deutschland die Chance, zur "Brücke der Einheit" zu werden. Genscher war ein Meister der Diplomatie und der politischen Gratwanderung geworden - so hielt er auch seinen Sitz im Kabinett 20 Jahre lang, in einer ganzen Serie von Koalitionsregierungen."
Die "Times" aus London schreibt: "Sein Leben und seine Karriere verkörperten so viele der Charaktereigenschaften seines Landes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Teilung Deutschlands formte seine Psyche - Kopf im Westen, Herz im Osten - und war der Antrieb seiner Ostpolitik. Und das war zugleich das alte Dilemma Deutschlands - war es ein westeuropäischer oder ein mitteleuropäischer Staat?"
cgn/ml (afp, dpa)