Ein Bruch wie 9-11?
4. September 2005Zu den innenpolitischen Auswirkungen der Unwetter in den USA schreibt die "NZZ am Sonntag":
"Jetzt hat der Hurrikan 'Katrina' den USA auf andere Weise Grenzen aufgezeigt. Nicht wegen der Umweltpolitik von George W. Bush (wie es der blinde Anti-Bush-Reflex mancher Europäer zu wissen glaubt), sondern weil die Natur manchmal stärker ist als der Mensch. Das Bild der hilflosen Opfer von 'Katrina' wird, zusammen mit der Situation im Irak, nicht ohne Einfluss auf das Selbstverständnis der USA sein und die Einsicht verstärken, dass der stolze Alleingang nicht immer ans Ziel führt. Diese politische Klimaänderung drückt sich in den sinkenden Umfragewerten des Präsidenten aus ... Die Phase der unipolaren Deklamationen ist in Washington vorbei. Die politischen Gezeiten ändern sich, und sie könnten am Ende gar einen Demokraten ins Weiße Haus spülen."
Die Pariser Zeitung "Le Monde" meint, dass der Hurrikan "Katrina" eine Wendemarke wie der 11. September sein könnte:
"Trotz ihres wirtschaftlichen und militärischen Potenzials, das sie manchmal bereitwillig im Ausland einsetzt, ist die 'Hypermacht' USA dazu unfähig, eine nationale Katastrophe dieses Ausmaßes zu bewältigen ... Vergeblich hatten offizielle Studien die Aufmerksamkeit auf die Verletzlichkeit der Deiche zu lenken versucht, die New Orleans schützen. Während Präsident George W. Bush bereits seit Wochen Rekordmarken der Unbeliebtheit für einen Präsidenten zu Beginn seiner zweiten Amtszeit erreicht, macht sich in den USA eine Debatte breit: Ist es vernünftig, Hunderte Millionen Dollar für einen Krieg im Irak auszugeben, wenn Amerika nicht dazu in der Lage ist, seine eigenen Bürger zu schützen? Von der Antwort auf diese Frage wird die amerikanische Politik in den kommenden Monaten abhängen. Der Hurrikan 'Katrina' könnte in der Geschichte einen Bruch markieren wie der 11. September 2001."
Zu den Auswirkungen des Hurrikans schreibt die linksliberale britische Zeitung "The Guardian":
"Hurrikan Katrina hat auf grausame Weise die Kraft der Naturgewalten demonstriert und gezeigt, welche verheerenden Schäden diese anrichten kann ... Zugleich hat Katrina die Regierung der Vereinigten Staaten, mit George Bush an der Spitze, in eine Situation gebracht, in der sie sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, völlig unzureichend mit einer der schlimmsten Naturkatastrophen umzugehen, die das Land je erlebt hat ... Amerika ist das reichste und mächtigste Land der Erde. Aber seine Bürger, die um Essen, Wasser und Hilfe betteln, erleiden Qualen, die man eher aus Sudan oder Niger kennt."
Zu den Reaktionen auf die Naturkatastrophe in den USA schreibt das "Luxemburger Wort":
"Bei all dem sollte man aber, aufgrund der gebotenen Pietät
angesichts der erschreckenden Opferzahl, aber auch der schreienden Verzweiflung unschuldiger Menschen, nicht vorschnell urteilen und mit undelikaten Vorwürfen zur Stelle sein ... Viele, vor allem europäische Kommentatoren in Politik und Medien, so der deutsche Umweltminister Trittin, konnten der Versuchung nicht widerstehen, die böse Ironie des Schicksals, das den Klimaschänder USA nun zum hilflosen Opfer der Natur gestempelt hat, bis zum Äußersten
auszukosten. Das ist weder eine intellektuelle noch eine menschliche Leistung. Die politische Streitkultur in den USA, insbesondere auch eine vorbildliche Pressefreiheit, sollten uns Garant genug sein, um auf die Fähigkeit der Amerikaner zu vertrauen, die richtigen Lehren aus den Fehlern ihrer Politiker zu ziehen."
Über die Folgen schreibt die Mailänder Zeitung "Corriere della Sera":
"Die politische Analyse der Folgen des Hurrikans Katrina ist klar: Eine Katastrophe für die USA, für die republikanische Regierung von George W. Bush, für die dicht bevölkerte Stadt New Orleans und die ganze Region. Die Feinde der USA freuen sich zynisch ... Sie genießen die Katastrophe der USA. Die Freunde hingegen müssen die Hand reichen und es ist gut, dass Europa und die internationale Energieagentur Öl und Hilfe anbieten. Aber die Freunde müssen auch in Erinnerung behalten, was nicht funktioniert und wie falsche Politik und soziale Probleme der Zerstörungswut von Katrina die Tür geöffnet haben."
Den US-Behörden scheint das Schicksal der armen und schwarzen Bevölkerung im Süden gleichgültig gewesen zu sein, schreibt die flämische Zeitung "De Morgen" aus Brüssel:
"Die Bush-Regierung kann nicht sagen, dass sie nicht gewarnt gewesen wäre. Wettervorhersagen hatten schon seit Wochen angekündigt, dass ein schwerer Hurrikan heranzog. Die Medien folgten Katrina bereits auf dem Fuß, als er noch über das Meer stürmte. Und dennoch schien die Obrigkeit nicht im Stande zu sein, einen adäquaten Notfallplan auszuarbeiten, um die Bürger in Sicherheit zu bringen und eine schnelle und wirksame Nothilfe zu organisieren. Wir mögen gar nicht daran denken, dass das arme und schwarze (Bevölkerungs-)Profil im Unterleib von Louisiana und Mississippi ein Grund für diesen Leichtsinn gewesen sein soll."
Mit der Kritik am Krisenmanagement von US-Präsident George W. Bush befasst sich die Brüsseler Tageszeitung "La Libre Belgique" am Samstag:
"Die Naturkatastrophe verwandelt sich in eine politische Katastrophe, meinen die amerikanischen Kommentatoren, während immer mehr Stimmen laut werden, die das Durcheinander, die Langsamkeit und die geringe Wirksamkeit der Hilfsmaßnahmen seit dem Aufbranden des Wirbelsturms Katrina an den Küsten des Golfs von Mexiko am vergangenen Montag anprangern. Und die erste dieser Stimmen ist eine einigermaßen unerwartete, denn George W. Bush selbst hat Freitag morgen vor dem Abflug in den Süden die Mittelmäßigkeit der Ergebnisse als inakzeptabel bezeichnet. Dabei ist es doch der Präsident, der im Feuer der Kritik steht, weil er seinen Urlaub auf seiner Ranch im texanischen Crawford erst spät - am Mittwoch - abgebrochen hat und anschließend nicht die nötige Autorität zeigte, um die Hilfeleistungen so schnell und gut wie möglich zu organisieren."