Chinatown Bukarest
19. September 2011Afumati, eine 7.000-Einwohner-Gemeinde am Nordostrand der rumänischen Hauptstadt Bukarest. In einer Markthalle plaudert eine chinesische Textilhändlerin mit einem Landsmann, während die Rumänin Maria Popescu kurze, eng geschnittene Sommerkleider mit Blumenmustern anprobiert. Ihr Ehemann Ion steht daneben und wartet. Die chinesischen Produkte seien viel billiger als die westlichen, sagt Ion Popescu und fügt hinzu: "Sie haben zwar nicht dieselbe Qualität, aber wir sind zufrieden. Es gibt auch qualitativ gute Sachen, Baumwollhemden und Lederschuhe, deshalb kaufen viele Rumänen hier ein. Ja, wir sind sehr zufrieden mit den Chinesen."
Die Stadt in der Stadt
Afumati war bisher nur als staubiger Durchgangsort an der Nationalstraße 2 bekannt. Seit kurzem jedoch ist er wegen der chinesischen Händler in ganz Rumänien berühmt geworden: Mitte Juli wurde hier nicht irgendein Markt, sondern die "Chinatown Romania" eröffnet - das größte chinesische Geschäfts- und Handelszentrum in ganz Mittel- und Südosteuropa. In drei riesigen Hallen, jede so groß wie ein Fußballfeld, bieten chinesische Händler ihre Waren an, Textilien, Werkzeuge, Elektronikartikel und vieles mehr. Daneben gibt es noch ein halbes Dutzend Lagerhallen für Großhändler sowie kleinere Bürogebäude.
Knapp 30 Millionen Euro haben die 19 chinesischen Großaktionäre des Projektes fürs Erste investiert. Doch das sei erst der Anfang, sagt Pan Jidong, Chinatown-Geschäftsführer und Mitaktionär, während er stolz durch eine der Hallen schlendert. "Hier entsteht nicht einfach nur ein großes chinesisches Handelszentrum. Wir werden auch Wohnungen bauen, eine Schule, einen Kindergarten und einen Bereich für Freizeit und Unterhaltung, auf 600.000 Quadratmetern", sagt Pan Jidong. Das Ziel ist dem Geschäftsführer zufolge, in Bukarest einen Ort zu haben, an dem sich alle chinesischen Händler versammeln und an dem auch Chinesen wohnen können. "Insgesamt wollen wir mehr als hundert Millionen Euro investieren", kündigt Pan Jidong an. Eine ansehnliche Summe.
China als Investor umworbenen
Bisher gab es in Rumänien kaum größere chinesische Investitionen. Chinesen waren, wie fast überall in Mittel- und Südosteuropa, vor allem als Kleinhändler präsent. Zehn- bis fünfzehntausend Chinesen sollen in Rumänien leben, die meisten wohnen in Bukarest und verkaufen an Marktständen billige chinesische Waren.
Mit dem Projekt "Chinatown Romania" liegt Rumänien jedoch nun ganz im Trend der Region: Immer mehr chinesische Großinvestoren drängen nach Mittel- und Südosteuropa, meistens staatliche Konsortien, zunehmend aber auch Privatfirmen. Und sie werden umworben. Der rumänische Ministerpräsident Emil Boc etwa erschien persönlich zur Einweihung von "Chinatown Romania" am 19. Juli. Ein Jahr zuvor hatte er bereits den Spatenstich für das Projekt getan.
Kritik an Medien und Bürokratie
Chinatown-Geschäftsführer Pan Jidong zeigt in seinem Büro stolz die Fotos, auf denen er zusammen mit Regierungschef Boc zu sehen ist, und gerät ins Schwärmen: Man werde ein internationales Handelszentrum sein und natürlich auch eine Brücke nach Westeuropa. Mit einem ist Pan Jidong jedoch unzufrieden - nämlich mit dem Image seiner Landsleute in rumänischen Medien. Die berichten immer wieder darüber, wie chinesische Händler Steuern hinterziehen. Sie besitzen oft keine Kassenautomaten oder stellen auch keine Quittungen aus.
Pan Jidong ist das Thema unangenehm: "Auch wir Chinesen wünschen uns, dass alles korrekt, legal und in Ordnung ist. Deshalb ist das Image über die Chinesen in der rumänischen Presse falsch und ungerecht." Eine so große Investition wie diese sei sehr wichtig für Rumänien, meint Pan Jidong und fährt fort: "Aber dazu gehört auch eine korrekte Berichterstattung. Natürlich müssen wir an bestimmten Problemen noch arbeiten. Letztlich aber wird alles so funktionieren, wie es sein soll."
Die schlechte Presse ist nicht das einzige Problem, das Pan Jidong hat. Er beschwert sich auch über schlechte Rahmenbedingungen für Unternehmer. "Es gibt weniger angenehme Dinge wie zum Beispiel die Art und Weise der Kontrollen. Alle möglichen Kontrollorgane üben Druck auf die Händler aus, und allgemein herrscht der Eindruck, dass es kein standardisiertes und transparentes System von Kontrollen gibt", bemängelt Pan Jidong. In China dagegen sei alles einfach und klar. "Wir wünschen uns, dass die rumänische Regierung die Probleme mit der Bürokratie und der Infrastruktur löst und Rumänien bestimmte Sachen von uns Chinesen lernt", so Pan Jidong.
Alles in chinesischer Hand
In Halle A ist der Stand des Strumpfhändlers Zhong Yuan-Tsing. Er ist einer der chinesischen Kleinhändler, die ins Zentrum gezogen sind. Eine Kasse besitzt er nicht, aber er stellt wohl Quittungen aus. Der 47-Jährige lebt seit 15 Jahren in Bukarest, zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Kindern, gerade sei er Großvater geworden, erzählt er stolz. Früher hatte er mehrere Marktstände im berüchtigten Bukarester Handelszentrum "Niro", in dem die Polizei regelmäßig Razzien veranstaltete, weil der rumänische Besitzer in großem Stil schwarz Marktgebühren erhob und Steuern hinterzog.
Auch Zhongs Marktstände wurden mehrmals geschlossen, seine Ware konfisziert. Jetzt ist er froh, in einem Handelszentrum mit chinesischen Besitzern zu sein, er habe endlich einen Vertrag, erzählt er. Dann lacht er und sagt in seinem gebrochenen Rumänisch: "Für Chinesen und Rumänen ist Chinatown sehr gut. Mir gefällt es sehr, in Rumänien zu leben."
Autor: Keno Verseck
Redaktion: Mirjana Dikic