Deutscher Vordenker
14. Dezember 2012Ob Gentechnik, Religion oder Migration – das sind Themen, die in einer modernen Gesellschaft eine Rolle spielen, und über die der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas wissenschaftlich und öffentlich debattiert. Eine Voraussetzung muss laut Habermas unbedingt gegeben sein, damit verschiedene Kulturen in Frieden miteinander leben können: Veränderung. Für Habermas das Wichtigste in einer funktionierenden modernen Gesellschaft.
Positive Ausnahmegestalt
Sein Leben ist so vielfältig wie seine Gedanken und Einflüsse in der Gesellschaft. Der heute 83-jährige Habermas wurde 1929 in Düsseldorf geboren, studierte Philosophie, Psychologie, Germanistik und Ökonomie in Göttingen, Zürich und Bonn. Nach seinem Studium arbeitete er als freier Journalist. 1956 arbeitete er als Forschungsassistent am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main, ein paar Jahre später wurde er Professor für Philosophie und Soziologie.
Habermas ist ein philosophisch-kritischer Intellektueller, doch seine Gedanken blieben nie in wissenschaftlichen Schriften versteckt. Seine neuen wissenschaftlichen Ansätze erregten immer wieder aufsehen. Unter anderem provozierte er den lang anhaltenden so genannten Historikerstreit, in dem er den Umgang der Öffentlichkeit mit der deutschen Vergangenheit kritisierte. Am Freitag (14.12.2012) erhielt Habermas den Düsseldorfer Heine-Preis für sein Lebenswerk. Das ist nicht seine erste Auszeichnung.
Die Jury kürte ihn zum weltweit bedeutendsten Denker der Gegenwart, da Habermas sich bis heute unermüdlich für ein demokratisch verfasstes Deutschland einsetze und zu den gesellschaftspolitischen Debatten Europas beitrage. Professor Axel Honneth vom Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main war früher Habermas' wissenschaftlicher Assistent. Für ihn ist Habermas eine positive Ausnahmegestalt: "Habermas war wissenschaftlicher Fachmensch und gleichzeitig als öffentlicher Intellektueller präsent. Das macht ihn so besonders", sagt Honneth.
Erweiterung des Horizonts
Habermas' Theorien wurden bereits in seinen jungen Jahren von der Wissenschaft anerkannt und führten zum weltweiten Diskurs. Er bezog sich auf die so genannte Frankfurter Schule, einer Gruppe von Philosophen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, die als Gründer der Kritischen Theorie gelten. Die Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse analysierten die kapitalistischen Verhältnisse in der Gesellschaft und deren Auswirkung auf die Wissenschaft. Habermas knüpfte an die Gesellschaftstheorien der Frankfurter Schule an - und entwickelte sie weiter. Er unterstützte die Kritische Theorie, aber forderte, dass sie sich auch selbst kritisch gegenüberstehen müsse. "Dieser neue Grundgedanke hat einen enormen Einfluss auf die Wissenschaft genommen", so Honneth. Habermas ging stets einen Schritt weiter. Der Wandel von Gesellschaftsstrukturen, die freie Entfaltung des Individuums und die Erweiterung des Horizontes sind in seinen Theorien besonders wichtig.
Zukunftsweisende Denkanstöße
Bis heute übt Habermas einen großen Einfluss auf die gesellschaftlichen Debatten der Öffentlichkeit aus. So protestierte er 2003 vehement gegen den Einmarsch der Amerikaner in den Irak und kritisierte, dass die Wirtschaft die Gesellschaft immer mehr spalte. Zuletzt befasste er sich mit der Euro-Krise und warb für eine Vertiefung der europäischen Integration.
Durch seine politischen Diskussionsbeiträge zählt Habermas heute zu den bekanntesten Philosophen Deutschlands und weltweit. Er kritisiert und analysiert die Gesellschaft, bricht festgefahrene Strukturen auf und gibt neue zukunftsweisende Denkanstöße. Eine Gesellschaft wird nie perfekt funktionieren können, das muss sie auch nicht. Wichtig ist , dass sie sich weiterentwickelt und verändert. Habermas dient auch als ein Ventil, das diesen Mechanismus immer wieder angeregt und den Horizont der Menschen erweitert hat.