Ein ganz normaler schöner Tag
16. Juni 2004Der 16. Juni 1904 muss ein schöner Tag gewesen sein, mit viel Sonne und einer frischen Brise von der irischen See, ein Tag wie so viele in Sandymount am südlichen Ende der Dublin Bay. Hier, in einem alten Befestigungsturm aus napoleonischer Zeit, beginnt der wohl berühmteste Roman der Moderne.
Briefe, Weste und Gitarre
"Dieser Turm ist heute natürlich einer der wichtigsten Orte für alle Joyce-Fans: Hier beginnt der Ulysses und hier ist heute auch das Joyce Museum", erzählt Robert Nichols, der das kleine Museum seit mehr als 20 Jahren leitet. Rare Ausgaben der Joyce’schen Romane findet man hier, Briefe und einige persönliche Gegenstände des Dichters wie seine Weste und eine Gitarre.
Doch diese spärlichen Erinnerungsstücke sind es kaum, wegen derer Joyce-Liebhaber aus aller Welt zum Martello Tower kommen. Es ist der Ort selbst, den Joyce wie so viele andere Punkte seiner Heimatstadt Dublin zu einem literarischen Monument werden ließ. Stadtteile, Straßenzüge, ja sogar einzelne Häuser und Geschäfte wurden durch seine akribische Beschreibung zum Allgemeingut, zu Orten, an den Realität und Fiktion verschmelzen.
Rotwein und Gorgonzola
Davy Byrnes Pub in der Duke Street ist so eine Pilgerstätte der Joyceaner. Jedes Jahr rund um den Bloomsday kommen sie in Scharen in seine Kneipe, erzählt Sean, der Barkeeper, und bestellen ein Glas Rotwein und ein Gorgonzola-Sandwich genauso wie Leopold Bloom im Roman. "Jeder, der sich für Joyce und für sein Werk interessiert, kommt hier her, egal ob Amerikaner, Japaner oder Deutsche. Es lohnt sich wirklich, sich das mal anzuschauen, schon wegen der Typen, die hier auftauchen. Echte Paradiesvögel sind das!"
Davy Byrnes Pub ist schon lange nicht mehr die schäbige Trinkhalle mit Sägespänen auf dem Boden, die Joyce einst beschrieben hat. Die irische Hauptstadt ist aber
immer noch Joyces Stadt – sie hat sich verändert und auch nicht. "Nach wie vor gibt es in Dublin keine Hochhäuser, die Maßstäbe in dieser Stadt sind sehr menschlich. Wenn man durch die Straßen läuft, kann man das spüren. Okay, die Straßenbeleuchtung hat sich verändert, aber das Gefühl, die Atmosphäre, ist dieselbe", sagt Laura Weldon, die Leiterin des nationalen Bloomsday-Komitees.
Unperson als Touristenattraktion
Verändert hat sich die Einstellung der Dubliner zu ihrem berühmten Landsmann. Zu Lebzeiten und auch noch viele Jahre nach seinem Tod war Joyce persona non grata in Irland. Er galt als obszön, als Gotteslästerer und seine Bücher wurden bestenfalls unter dem Ladentisch verkauft. In diesen Tagen dagegen, zum 100. Bloomsday, prangt sein Konterfei mit dem Schlapphut und der runden Brille überall; auf Postkarten, an Kneipentüren und Plakatwänden. Lesungen sind geplant, Konzerte, Ausstellungen und ein riesiges Bloomsday Frühstück für zehntausend Menschen.
Doch nicht jeden freut das: Ken Monaghan, Joyces Neffe und der älteste noch lebende Nachfahre des Dichters, hat die Zeiten noch gut in Erinnerung, als sein Onkel in Irland eine Unperson war. Die aufwändigen Feierlichkeiten sieht er daher mit gemischten Gefühlen: "Das irische Establishment hat sehr lange gebraucht, um seine Meinung über James Joyce zu ändern. Wäre ich ein Zyniker, würde ich sagen, sie haben endlich seinen Marktwert als Touristenattraktion erkannt. Ich kann nur hoffen, das auch viele Leute an den Feiern teilnehmen, die sich bisher noch nicht mit Joyce beschäftigt haben. Sie sollen endlich selbst erfahren können, dass mein Onkel keinesfalls das Monster war, als das man ihn all die Jahre dargestellt hat."