Geheimdienst-Trio gegen Rechtsextremismus
29. Oktober 2019Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll Deutschland vor Gefahren aus dem Ausland schützen. Deshalb erscheint es auf den ersten Blick fast ein wenig abwegig, dass er sich auch dem Rechtsextremismus widmet. Doch dieses Denken ist im Zeitalter der globalen, virtuellen Vernetzung längst überholt. Jüngstes Beispiel ist das Attentat auf die Synagoge in Halle im Bundesland Sachsen-Anhalt, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen. Der geständige Tatverdächtige Stephan B. hat sich offensichtlich vom Christchurch-Massaker in Neuseeland inspirieren lassen. Dort hatte ein Rechtsextremist im März bei Angriffen auf Moscheen 50 Menschen getötet.
Die Parallelen zu Halle sind offensichtlich: Beide Attentate wurden von den Angreifern live im Internet übertragen. Und beide richteten sich gegen Glaubensgemeinschaften, die klassische Ziele von Rechtsextremisten sind: Muslime und Juden. In Halle waren nur deshalb keine Juden unter den Toten, weil Stephan B. nicht in die Synagoge eindringen konnte und auf der Flucht zwei Zufallsopfer erschoss. Dass sein Motiv jedoch Antisemitismus war, hat er nach seiner Verhaftung zugegeben.
BND-Präsident Bruno Kahl hat auf die Internationalisierung des Rechtsextremismus mit der Schaffung einer ganz neuen Stelle in seinem Haus reagiert: Seit diesem Jahr gibt es einen Beauftragten für Rechtsextremismus. Das sagte Kahl am Dienstag in einer öffentlichen Anhörung des Bundestages in Berlin. Auch die Chefs des Bundeamtes für Verfassungsschutz (BfV) und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), Thomas Haldenwang und Christof Gramm, beantworteten drei Stunden langen die Fragen des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste (PKGr).
In Planung: "Lagebild Rechtsextremismus im Öffentlichen Dienst"
Um internationale Kontakte zwischen Rechtsextremisten früher und besser aufklären zu können, arbeiten die drei Bundesbehörden auch auf diesem Feld enger denn je zusammen. Im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus ist das schon länger so. BND-Chef Kahl verwies zudem auf eine intensivere Kooperation mit Partnerdiensten in benachbarten und außereuropäischen Ländern. Der Attentäter von Christchurch stammt aus Australien und soll Kontakte nach Europa gehabt haben.
Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang kündigte an, schon bald ein "Lagebild Rechtsextremismus im Öffentlichen Dienst" zu veröffentlichen. Hintergrund sind die sich häufenden Berichte über mutmaßlich rechtsextremistische Strukturen in der Polizei und bei der Bundeswehr. So sollen Beamte in Frankfurt am Main fremdenfeindlich motivierte Morddrohungen verschickt haben. Unter anderem an die Rechtsanwältin Seda Başay-Yildiz, die im Prozess gegen die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) Opfer-Angehörige vertreten hat.
MAD-Chef nimmt Berichte über "Schattenarmee" ernst
MAD-Präsident Gramm antwortete auf die Frage nach der Existenz eines rechtextremistischen Netzwerks in der Bundeswehr weder mit einem "Ja" noch mit einem "Nein". Mit seinem "Jein" räumte er aber ein, Mutmaßungen über eine "Schattenarmee" ernst zu nehmen. Allerdings hätten sich derlei Berichte bislang nicht bestätigt. Zugleich räumte Gramm ein, dass die Zahl aller verfassungsfeindlichen Verdachtsfälle in der Truppe seit 2017 gestiegen sei. Allein im Bereich Rechtsextremismus hat der MAD demnach rund 500 registriert.
Um das Problem besser in den Griff zu bekommen, verpasst Gramm dem MAD eine neue Struktur. Die Extremismus- und Spionageabwehr sollen getrennt werden und mehr Personal bekommen. Außerdem müsse man über den "eigenen Tellerrand" hinausblicken, "außerhalb der Bundeswehr". Der Präsident des Militärischen Abschirmdienstes spricht ganz offen von einem notwendigen "Mentalitätswandel".
Verfassungsschutz-Chef zählt AfD zur "Neuen Rechten"
Auf die Rolle der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) ging Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang ein. Er zählt die gerade wieder bei der Landtagswahl in Thüringen erfolgreiche Partei zur "Neuen Rechten". Seit Anfang 2019 beobachtet seine Behörde den besonders radikalen "Flügel" und die Nachwuchsorganisation "Junge Alternative" als "Verdachtsfälle". Sie würden die Grenzen des Rechtsextremismus immer mehr ins bürgerliche Lager verschieben, sagte Haldenwang. Die AfD als Ganzes wurde zum "Prüffall" erklärt.
Die rechte Szene insgesamt werde "unübersichtlicher", bilanziert der BfV-Chef die Entwicklung. Besonders im Blick hat man das Internet. Dort würden sich Menschen treffen, die sich sonst "nie begegnet wären". Als Beispiel nannte Haldenwang die Gruppe "Revolution Chemnitz", die auch durch virtuelle Kontakte entstanden sei. Die mutmaßlichen Rechtsterroristen sollen Angriffe auf Ausländer und Repräsentanten des Staates geplant haben. Der Prozess gegen sie hat Ende September in Dresden begonnen.
Von Einzeltätern spricht niemand mehr
Von der in Sicherheitskreisen lange zu hörenden Einzeltäter-Theorie ist bei der öffentlichen Anhörung des Geheimdienst-Trios keine Rede mehr. "Für mich sind es inzwischen zu viele Einzelfälle", sagte Haldenwang. Im Kampf gegen Rechtsextremisten setzt er auch auf die Unterstützung der Bevölkerung. Passend dazu wurde am Dienstag das Hinweistelefon "RechtsEX" freigeschaltet.