Slow Food in Deutschland
19. Dezember 2013Das Telefon klingelt schon wieder, der Laden läuft. Wer im Bolando essen will, sollte vorher anrufen. "Wir haben den Nerv der Zeit getroffen", sagt Karl Dischinger, Vorstand in der Genossenschaft, die das Dorfgasthaus in der Nähe von Freiburg betreibt. Vor vier Jahren haben einige Menschen in Bollschweil, einem Schwarzwalddorf mit 1900 Einwohnern, beschlossen, gemeinsam ein Restaurant aufzumachen. Der genossenschaftliche Ansatz war neu und sorgte für viel Aufmerksamkeit. Die Geschichte hat es bis auf die Seite drei in der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen geschafft.
Doch das Engagement der Bürger allein ist es nicht, mit dem Karl Dischinger den Erfolg des Bolandos erklärt. Wenn das Buch mit den Reservierungen für die nächsten Wochen vollgeschrieben wird, dann wegen der besonderen Küche. So gut wie alles, was hier auf den Teller und in die Gläser kommt, ist aus der direkten Umgebung. Der Hof des Winzers liegt schräg gegenüber, der Metzger arbeitet ein paar Dörfer weiter und die Gärtnerei am Rande Bollschweils liefert Salat und Gemüse. Das spricht sich rum - und das schmeckt man.
Ehrliche und transparente Küche
Das Restaurant ist eines der 300 Gasthäuser in Deutschland, die es in den Slow Food Genussführer Deutschland 2014 geschafft haben. Der Genussführer beschreibt Lokale, in denen regional und saisonal gekocht wird, ohne Zusatzstoffe und zu bezahlbaren Preisen. "Im Großen und Ganzen steht über allem der Slogan: gut, sauber und fair", sagt Wieland Schnürch, Mitherausgeber des Genussführers und einer der führenden Köpfe von Slow Food in Deutschland. Die nicht profitorientierte Organisation wurde 1989 von dem italienischen Journalisten und Soziologen Carlo Pentini gegründet. Inzwischen ist daraus eine internationale Bewegung geworden. Allein in Deutschland gibt es 13.000, weltweit etwa 100.000 Mitglieder.
Besonderen Wert legt Slow Food auf Transparenz. Die Menschen sollen wissen, was sie essen. Auch deshalb werden bevorzugt regionale Produkte verwendet. "Es ist ein Unterschied, ob ich das Fleisch von einem Großhändler kaufe, der seine Produkte aus ganz Europa ankarrt, mit völlig undurchsichtigen Herkunftsangaben, oder ob ich beim Bauernhof einkaufe, wo jeder nachschauen könnte, wie der Landwirt seine Hühner hält", sagt Schnürch.
"Die Menschen wissen die guten Produkte zu schätzen, aber sie wollen nicht immer dafür bezahlen", sagt Insa Räuber, die Geschäftsführerin des Bolando. Zwar gibt es viele Gäste, die gezielt nach der Herkunft der Speisen fragen. Aber bei der Frage, was bezahlbare Preise sind, gehen die Vorstellungen von Gastgeber und Gästen manchmal auseinander. Dann muss das Bolando den Demeter-Rotwein auch schon mal günstiger anbieten, als es aus betriebswirtschaftlicher Sicht angebracht wäre. "Nicht jedes Angebot ist bei uns auf Profit angelegt", sagt Räuber.
Regionale Unterschiede
Die Bolando-Macher sind dennoch von ihrer Herangehensweise überzeugt. Ihr Erfolg bei den Gästen ist ihnen ein gutes Feedback, der Eintrag im Genussführer eine Bestätigung. "Wir wollen auch in der nächsten Edition des Buches erscheinen", meint Karl Dischinger. In Zahlen können die Gastronomen die Auswirkungen der Publikation nicht messen, aber es würden immer wieder Menschen mit dem Buch in der Hand ins Restaurant kommen.
So klein Bollschweil sein mag, die Gemeinde ist gleich mit zwei Restaurants in dem Gastronomieführer vertreten. "Im Süden ballt sich das", sagt Wieland Schnürch. Bei einem Blick auf die Slow Food-Landkarte in Deutschland fällt auf, dass der Westen stärker vertreten ist als der Osten, zudem mehr Restaurants im Süden liegen als im Norden. "Das ist kulturhistorisch bedingt. In der Literatur wird das als Gefälle beschrieben zwischen dem eher asketisch protestantisch geprägtem Norden und dem eher genussbetonten katholischen Süden." Ein ähnliches Gefälle gebe es zwischen dem Osten und dem Westen. "Das hat aber Gründe, die eher in der jüngeren Vergangenheit liegen. Nach der Wende konnte die Gastronomie im Osten nicht auf dem aufbauen, was im Westen schon lange gewachsen war", sagt Schnürch. Eine Rangliste gibt es nicht in dem Buch. "Wir wollen keine Hitparade. Jedes Restaurant ist ein Schätzchen für sich."
Eine Besonderheit von Slow Food in Deutschland sei, dass strenger geprüft werde als anderswo. "In Italien und Österreich, wo es ähnliche Gastronomieführer gibt, wird die Produktqualität oft als selbstverständlich angesehen. Ob das so ist, weiß ich nicht. Aber wir haben uns bewusst harte Kriterien angelegt", sagt Schnürch.
Steigende Nachfrage
Fast täglich melden sich Restaurants, die nachfragen, wie sie es in die nächste Edition des Buches schaffen können. Dafür müssen die Genussführer-Macher überzeugt werden, dass die Gasthäuser nach den Kriterien von Slow Food arbeiten. "Ob das tatsächlich geeignete Kandidaten sind, wird sich zeigen", sagt Schnürch. Die Lokale, die jetzt in dem Buch stehen, sind Slow Food schon länger bekannt. "Wir sind keine anonymen Tester mit hochgeschlagenen Mantelkragen, die heimlich Proben vom Essen entnehmen. Wir legen Wert drauf, mit den Wirten und Köchen ins Gespräch zu kommen." Einige Gasthäuser hätten sich zuvor sogar in die Speisekarte und bei ihren Bezugsquellen reinreden lassen, um im Buch erwähnt zu werden.
Das kann sich lohnen, denn die Nachfrage der Deutschen nach fairem, gutem und sauberem Essen ist da. Im September ist der Genussführer mit einer Startauflage von 7.000 Exemplaren erschienen, seitdem muss er ständig nachgedruckt werden.