"Ein interessantes Geschenk"
14. September 2017Deutsche Welle: In Deutschland gibt es Forderungen, die Rüstungsexporte an die Türkei einzustellen. Wie bewerten Sie das? Halten Sie es für möglich?
Christian Mölling: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bundesregierung eine Grundsatzentscheidung trifft, die heißt: Die Türkei kriegt keine Waffen mehr aus Deutschland. Erstens: Weil sie NATO-Partner ist. Gegenüber einem NATO-Partner gibt es quasi eine Verpflichtung zur Militärhilfe und das schließt auch die Hilfe mit Waffen ein. Zweitens: Es ist gar nicht notwendig. Jeder Rüstungsexport muss in Deutschland durch eine sogenannte Einzelfallkontrolle.
Das heißt, Deutschland entscheidet nicht per se, ob ein Land eine Waffe kriegt, sondern es schaut jedes Mal von Neuem. Bei jeder Einzelfallkontrolle kann die Bundesregierung einfach sagen, dass die Türkei in diesem Fall keine Waffen bekommt - was de facto auch auf ein Exportverbot hinausläuft. Aber man muss dafür nicht die politischen Grundsätze und Gesetze in Deutschland ändern. In dieser politischen Situation ist die Frage ja, wie weit man sich aus dem Fenster lehnen will.
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat auch gesagt, dass die Rüstungsexporte an die Türkei zu einem großen Teil auf Eis gelegt sind. Aus Ihrer Sicht: Was mögen die Gründe sein und um welche Rüstungslieferungen handelt es sich eigentlich?
Das ist nicht einfach herauszufinden. Die letzten verfügbaren Zahlen zum Umsatz, die ich gefunden habe, sind von 2015 und da sind es 38 Millionen Euro. Das ist für Kriegsmaterialien nicht viel Geld. Deutschland exportiert sehr viel mehr in andere Länder. Das hängt auch damit zusammen, dass die Türkei ja ihre eigene Rüstungsindustrie ausbaut.
Die Türkei und Russland haben einen Liefervertrag für das Raketenabwehrsystem S-400 unterzeichnet. Wie wird dieser Deal die Beziehung der Türkei mit den NATO-Partnern beeinflussen und was bedeutet das für die NATO?
Besonders bei der Luftverteidigung müssen NATO-Partner zusammen arbeiten. Es ist deshalb unvorstellbar, dass ein russisches System in eine NATO-Computerarchitektur eingebaut wird. Von daher hat sich die Türkei offensichtlich sehr bewusst eine Kooperationsmöglichkeit genommen. Das Problem besteht nicht nur heute, damit könnte man noch leben. Doch die Digitalisierung wird das Problem noch verschärfen, die Luftverteidigungssysteme werden sich noch stärker vernetzen. Dann ist die Türkei irgendwann raus aus der gemeinsamen Luftverteidigung. Aus meiner Sicht könnte das eine ganz bewusste Entscheidung sein. Insgesamt ist die Türkei zurzeit ein schwieriger Partner, weil sie ja auch nicht genügend Soldaten innerhalb der NATO stellt. Es gibt viele Soldaten, die nach der Kündigungswelle in der Türkei zurückgezogen worden sind. Jetzt besetzt die Türkei ihre Soldaten in der NATO nicht mehr nach. Die gesamte Kommunikation zwischen Ankara und Brüssel wird immer schlechter. Und Ankara weiß das.
Der Dialog hat sich verschlechtert, die Türkei nähert sich an Russland an. Tritt die Türkei selbst de facto von der Allianz zurück?
Das ist schwer zu sagen, das wäre sehr spekulativ. Wir sehen, dass die Türkei in ihrer Politik ein "vor und zurück" betreibt. Gleichzeitig haben wir in Europa die Tendenz, die türkischen Aktivitäten im Wesentlichen eurozentrisch zu sehen - also zu glauben, dass alles, was die Türkei macht, sich auf die Europäische Union oder auf die NATO bezieht. Die Türkei hat ja mittlerweile ein wesentliches geopolitisches Interesse im Nahen Osten, also Richtung Syrien und sie positioniert sich mit Blick auf Länder wie Iran, Saudi Arabien und Katar. Der Kauf kann auch einfach eine Art interessantes Geschenk von Erdogan an Putin sein. Er weiß, dass Putin sich darüber freut, dass Erdogan die NATO ärgert. Gleichzeitig bekommt er vielleicht die Unterstützung Russlands für seine Politik im Nahen Osten.
Dr. Christian Mölling ist stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Seine Fachgebiete sind unter anderem Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie Rüstungsindustrie.
Das Gespräch führte Deger Akal.