Ein israelischer Filmemacher in Berlin: Ofir Raul Graizer
3. September 2023Vor 13 Jahren zog der israelische Filmemacher Ofir Raul Graizer nach Berlin, kurz nachdem er sein Filmstudium am Sapir College in der Nähe von Sderot beendet hatte, einer Stadt im Süden Israels, die wegen ihrer Nähe zum Gazastreifen seit 2001 immer wieder Ziel von Raketenangriffen militanter Palästinenser ist. Graizer empfand das Leben dort aus mehreren Gründen als anstrengend: "Zur Flucht vor den Raketen kam die Auseinandersetzung mit Nationalismus und Gewalt von israelischer Seite."
Was er in der deutschen Hauptstadt vorfand, erschien ihm dagegen ganz anders: "Berlin war lebendig, lustig, jung, faszinierend", sagt er im DW-Gespräch, "und es war schön, ein ruhiges Leben zu haben, an einem entspannten Ort. Also bin ich geblieben."
"Berlin ist einer der sichersten Orte für Juden"
Viele Israelis ziehen nach Berlin, um Frieden zu finden - eine erstaunliche Wendung des Schicksals, wenn man weiß, dass Deutschland im Nationalsozialismus vor 90 Jahren Juden verfolgt und umgebracht hat.
Eher eine Randerfahrung mit Antisemitismus in Deutschland kommt Graizer in den Sinn, an eine Gruppe Jugendlicher, die "Nazi-Musik" hörten und ihm böse Blicke zuwarfen. Auch an die "harsche Reaktion eines Polizeibeamten" erinnere er sich, als der seinen israelischen Akzent erkannt habe. Doch das habe auf ihn eher ausländerfeindlich als antisemitisch gewirkt, sagt der Filmemacher: "Ich glaube nicht, dass mich jemand ansehen und sagen kann: 'Oh, sie sind Jude.' Doch offensichtlich sind mein Akzent und mein Aussehen nicht weiß-deutsch."
Antisemitismus und Fremdenhass gegen Ausländer gebe es überall auf der Welt, sagt Graizer, Deutschland mache da keine Ausnahme. Doch sehe er Deutschland als Vorreiter bei der Förderung von Menschenrechten, künstlerischer Freiheit Bildung und Kunst. "Es ist gut, ein Teil davon zu sein." Mehr noch: "Deutschland ist heute einer der sichersten Orte der Welt für Juden", sagt Graizer und lächelt. "Ich sage das mit Humor, aber ich fühle mich hier als schwuler Linker viel sicherer."
Loslösung von der Religion
Der heute 42-Jährige wuchs in Ra'anana auf, einer wohlhabenden Stadt in Zentralisrael mit einer großen modern-orthodoxen Gemeinde. Der Vater war religiös, die Mutter eher säkular. Graizer besuchte daher eine säkulare Schule, wurde aber religiös erzogen: "Wir waren ziemlich streng. Wir aßen koscher und fuhren am Schabbat nicht mit dem Auto", erinnert sich Graizer. "Das führte zu vielen Konflikten. Ich habe diese Regeln gehasst, vor allem als Teenager."
Mit 16 Jahren outete sich Graizer als schwul: "Es war kein leichter Weg", erzählt der Regisseur, "es hat einige Jahre gedauert. Aber jetzt akzeptieren meine Eltern es. Viele Menschen werden weicher, wenn sie älter werden."
Von "The Cakemaker" zu "America"
Graizer ist vor allem für sein Spielfilmdebüt "The Cakemaker" (2017) bekannt, das nach der Premiere auf dem Filmfestival im böhmischen Karlovy Vary, früher Karlsbad, mit dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde und in Israel sieben Ophir Awards sowie zahlreiche weitere Trophäen auf internationalen Festivals abräumte. "The Cakemaker" war Israels offizieller Beitrag für den besten fremdsprachigen Film bei der Oscarverleihung 2019.
Doch bis dahin war es ein weiter Weg: Acht Jahre hatte Graizer für "The Cakemaker" gedreht. Nicht weniger als 19 Filmförderungen hatten das Projekt abgelehnt. Schließlich produzierte er seinen Film mit dem bescheidenen Budget von 90.000 Dollar (82.000 Euro). Doch der Erfolg, so scheint es, war alle Mühen wert.
Die Finanzierung seines zweiten Films "America" fiel dann schon leichter, doch stand der Filmemacher jetzt vor ganz neuen Herausforderungen: Gedreht wurde im Jahr 2020, in der Frühphase der Pandemie. Strenge Pandemievorschriften mussten beachtet werden, die Kinobranche war verunsichert: "'America' ist ein Film für die große Leinwand. Alle Theater und Kinos waren geschlossen, und wir wussten nicht einmal, ob wir ihn jemals zeigen könnten", erinnert sich der Regisseur.
Erfolg trotz der Pandemie
Doch Graizer ließ sich nicht beirren. "Jeder Film hat seinen Weg. Man braucht ein dickes Fell, muss die Leute finden, die an das glauben, was man tut, und darf die Dinge nicht persönlich nehmen."
"America" erzählt die Geschichte eines israelischen Schwimmtrainers, der nach dem Tod seines Vaters aus den USA nach Israel zurückkehrt. Tragische Umstände führen zu einer komplexen Beziehung mit der Verlobten seines besten Freundes, einer Blumenhändlerin.
Die israelisch-deutsch-tschechische Koproduktion feierte ihre Premiere auf dem Internationalen Filmfestival von Karlovy Vary und gewann den Preis für die beste Schauspielerin auf dem Jerusalem Film Festival 2022. Graizers Film, der 2024 in die deutschen Kinos kommt, läuft zunächst auf dem israelischen Filmfestival "Seret International" gezeigt, das vom 3. bis 11. September 2023 in Berlin, Hamburg und Köln stattfindet.
Der israelische Meister des Melodrams
Die israelische Zeitung "Haaretz" verglich "America" mit Filmen von Pedro Almodovar, da sie sich durch kräftige Farben und eine melodramatische Handlung auszeichnen - obwohl Graizers Werk zurückhaltender und ruhiger ist als die Filme des spanischen Regiekollegen.
Andere Kritiker vergleichen Graizer mit dem deutschen Filmemacher Rainer Werner Fassbinder: "Es ist eine Ehre, aber ich sage nie, dass meine Arbeit so oder so ist; ich mache die Dinge so, wie ich sie mir in meinem Unterbewusstsein vorstelle. Ich werde nicht nur von Dramen oder Melodramen beeinflusst, sondern auch von Mafia-, Horror- und Spionagefilmen", sagt der Regisseur.
Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen "America" und "The Cakemaker", beide handeln von einer Dreiecksbeziehung, die von Trauer getrieben ist. In "The Cakemaker" verliert ein junger schwuler deutscher Bäcker seinen israelischen Geliebten bei einem Autounfall. Kurz darauf reist er nach Jerusalem und bekommt einen Job in einem Café, das der Witwe seines Geliebten gehört. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Beziehung, bis seine Identität schließlich aufgedeckt wird.
Kochen - die zweite Leidenschaft
Manches aus Graizers Privatleben spiegelt sich in seinen Filmen wider. So ist sein Ehemann, ein Deutscher, den der Filmemacher in Berlin kennengelernt hat, Produktionsdesigner und Florist. Er ist auch derjenige, der den üppigen Blumenladen und die Blumenarrangements in Graizers neuestem Film entworfen hat.
Graizers zweite Leidenschaft ist das Kochen. Er hat als Koch in Restaurants, als Privatkoch und als Kochlehrer in Berliner Lokalen gearbeitet, wo er lehrt, israelische vegetarische Gerichte zuzubereiten. Seine Beobachtung zu den Essgewohnheiten der Deutschen: "Der durchschnittliche deutsche Esser probiert gerne neue Dinge aus, hat aber Angst vor zu starken oder zu gewagten Geschmäckern."
Was dem israelischen Filmemacher auffällt, ist das das Deutschlandbild, das die Welt hat, mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Beispiel: das Debakel um Bau des Flughafens BER in Berlin. "Wir denken, dass in Deutschland alles geplant und pünktlich ist, aber dann dauert es 20 Jahre, um einen Flughafen zu bauen, und der Zug kommt nie pünktlich an."
Aber nicht nur Deutsche hätten so ihre Macken: "In den Wahnsinn kann einen neben vielen anderen Dingen treiben, in Israel in einem Bus zu sitzen, während ein Soldat mit einer M-16 auf deinen Schritt zielt."
Adaption aus dem Englischen: Stefan Dege.