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Politik

Macron, der Retter und Zerstörer

Barbara Wesel
7. Mai 2018

Es ist eine Modernisierung auf den Trümmern des alten politischen Systems, die Frankreichs Präsident seit einem Jahr angeht. Die Frage ist: Wie viel Zeit bekommt Emmanuel Macron dafür noch von den Franzosen?

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Frankreich Präsident Emmanuel Macron spricht vor dem Louvre in Paris
Bild: Reuters/P. Wojazer

Als Emmanuel Macron am 7. Mai 2017 im Hof des Louvre seinen Wahlsieg feierte, genossen er und seine Anhänger für ein paar Stunden die Leichtigkeit des unerhörten Augenblicks. Fast ungläubig, dass es ihm gelungen war, das französische Parteiensystem zu zerschmettern - mit seinem Versprechen, auf den Trümmern ein modernes Frankreich zu bauen.

Sein Kabinett schmiedete Macron in der Folge aus konservativen, sozialistischen und parteilosen Ministern. Eine Mischung von Novizen und erfahrenen Politikern, die bereit sind, der Vision und der Führung des jungen Präsidenten zu folgen. Es ist ein System ganz auf seine Person ausgerichtet, in dem er mit wenigen Vertrauten alle Fäden in der Hand hat.

Macron beschnitt den Zugang der Presse zum Elyseepalast, gibt kaum Interviews und kontrolliert strikt die Botschaften seiner Regierung in den Medien. Zu Beginn seiner Amtszeit begründete der Präsident seine Zurückhaltung damit, dass das Amt eine "jupitergleiche Distanz" zum Volk mit sich bringe. Was den 39-Jährigen dem Spott der Presse und der Franzosen aussetzte. Inzwischen hat er wohl verstanden, dass zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen nur ein Schritt liegt, und er zeigt etwas mehr Entspanntheit.

Die Hoffnung ist Europa

Die meisten Wahlen werden dieser Zeit gegen Europa gewonnen. Viktor Orban in Ungarn ist das jüngste Beispiel. Emmanuel Macron dagegen gewann mit einer klar pro-europäischen Botschaft und wagt sogar, vom weiteren Zusammenwachsen in der EU zu reden. Er formulierte seine Ideen im vergangenen Herbst in einer Rede an der Sorbonne in Paris, wo er kühne Reformen für die Eurozone vorschlug, eine neue soziale und solidarische Zukunft beschwor sowie die Wiederbelebung der engen Partnerschaft mit Deutschland.

Angela Merkel und Emmanuel Macron in Berlin (19.04.2018)
Partner Merkel und Macron: Charmiert nach allen Regeln der KunstBild: Reuters/A. Schmidt

Werden die Wirtschaftsreformen des Präsidenten häufig als "rechts" kritisiert, zeigt er beim Thema Europa eher seine "linke" Seite. Aber der Weg von der Vision zur Umsetzung scheint länger und steiniger als erwartet. Doch eine endlose Regierungsbildung in Berlin und eine Koalition im Deutschen Bundestag mit einem schwachen europapolitischen Profil ließen die französischen Blütenträume schnell welken.

Fast beste Freunde

Eine der größten Stärken des französischen Präsidenten scheint seine Fähigkeit, Ältere in Ämtern und Würden für sich einzunehmen. Und so charmierte Emmanuel Macron die Bundeskanzlerin nach allen Regeln der Kunst. Er entlockte der nach außen so spröden Angela Merkel ein fast mädchenhaftes Lächeln. Die neue Freundschaft zwischen Paris und Berlin schien im Himmel gemacht, und der Präsident investierte Energie und Personal, um den berühmten deutsch-französischen Motor wieder in Gang zu bringen. Im vorigen Jahr klangen die Berichte über die neue enge Zusammenarbeit noch ganz begeistert.

Wochenblatt "Marianne"
Wochenblatt "Marianne": "Das Schwierigste kommt noch"Bild: DW/D. Pundy

Inzwischen scheinen die Flitterwochen schon wieder vorbei. Angela Merkel ging geschwächt in ihre vierte Amtszeit, der SPD-Finanzminister blockiert die Eurozonen-Reform wie sein konservativer Vorgänger und der anfängliche Überschwang scheint auf dem harten Boden deutscher Vorsicht und Zögerlichkeit angekommen. Die Bundeskanzlerin weiß wohl, dass sie für den Erfolg Macrons mit verantwortlich ist, aber es scheint ungewiss, ob sie noch den Spielraum hat, für die gemeinsame Zukunft zu planen.

Ein Feuerwerk von Reformen

Emmanuel Macron will die Franzosen schreiend und zappelnd ins 21. Jahrhundert zerren - auch wenn er selbst seine Pläne diplomatischer skizziert. Aber sein Ziel ist eigentlich radikal. Und der Präsident weiß, dass er die nötigen Reformen schnell umsetzen muss, bevor sich Widerstand formiert und verhärtet. So hat er etwa Steuererleichterungen für Unternehmen und Besserverdienende umgesetzt sowie eine erste Arbeitsmarktreform mit einer Aufweichung des strikten Kündigungsschutzes und neuen Regeln bei Tarifverhandlungen. Typische Aktionen eines Wirtschaftsliberalen, sagen seine Kritiker. Eine notwendige Flexibilisierung der erstarrten französischen Wirtschaft, erklären seine Verteidiger. Und so geht es weiter mit Reformen im Bildungssystem, in der Justiz - quer über alle Politikbereiche. Es ist ein Hochseilakt.

Aber es gibt Erfolge: Zum ersten Mal in einem Jahrzehnt sank die Neuverschuldung in Frankreich unter die Drei-Prozent-Grenze der EU. Die Wirtschaft kehrte nach langer Stagnation mit fast 2 Prozent zum Wachstum zurück, der Ausblick bleibt positiv, das Geschäftsklima hat sich belebt. Allerdings ist die Arbeitslosigkeit nur wenig gesunken und verharrt bei rund 9 Prozent. Emmanuel Macron weiß, dass es hier tiefer gehende Reformen und Änderungen in der Mentalität braucht. Allerdings wird Erfolg am Arbeitsmarkt das Kriterium sein, an dem er zum Ende seiner Amtszeit beurteilt werden wird.

Eisenbahnerdemonstration in Lyon (03.04.2018)
Eisenbahnerdemonstration in Lyon im April: Defizitäre Staatsbahn für Wettbewerb öffnenBild: Reuters/E. Foudrot

Zuletzt hat der Präsident es sogar mit der gefürchteten Eisenbahnergewerkschaft CGT aufgenommen. Er will den Bahnbeschäftigten einige ihrer Privilegien wegnehmen und die defizitäre Staatsbahn SNCF vorsichtig für Wettbewerb öffnen. Die Gewerkschafter riefen zum Kampf, es gab eine Welle von Streiks und Protesten. Allerdings wurde nie der ganze Betrieb stillgelegt und die Aktionen verliefen nach einigen Wochen im Sande. Eine knappe Mehrzahl der Franzosen befürwortet nach wie vor Macrons Reformen, er ist dem gefürchteten Zorn der Straße bisher weitgehend entgangen.

Der große Staatszirkus in der Außenpolitik

In der Außenpolitik genießen die Franzosen die präsidiale Allüre ihres jungen Präsidenten. Er hat das Land, das jahrzehntelang unter dem Stigma der Zweitklassigkeit und Bedeutungslosigkeit litt, innerhalb weniger Monate auf die internationale Bühne zurückgebracht. Unermüdlich kämpft Macron um den Einfluss Frankreichs bei den früheren Kolonialländern in Westafrika, engagiert sich in Syrien, beteiligt sich an Militäreinsätzen, startet Friedensinitiativen, bietet Putin die Stirn und zeigt sich bei jeder internationalen Krise in der ersten Reihe.

Donald Trump (r.) trifft Emmanuel Macron
Präsidenten Macron und Trump: Alpha-Männchen-Gehabe überstandenBild: Reuters/K. Lamarque

Seine Reisen und Staatsbesuche zelebriert der Präsident dabei mit allem Pomp. Und deshalb verzeihen ihm die Franzosen auch seine Männerfreundschaft zum verachteten US-Präsidenten: Emmanuel Macron erklärt es für klüger, mit Donald Trump zu reden als ihn links liegen zu lassen. Und seine auch emotionale Intelligenz befähigt ihn, ohne großen Gesichtsverlust Trumps Alpha-Männchen-Gehabe zu überstehen. Zumal wenn der Franzose gleichzeitig im Kongress in Washington eine kämpferische Rede hält. Seine Außenpolitik stellt er ganz in den Dienst der Ehre und des Ruhms Frankreichs und bedient damit zu Hause das Nationalgefühl.

Mögliche Auslöser für Massenproteste

"Das Schwierigste kommt noch", titelte das französische Wochenblatt "Marianne" schon im Mai 2017. Emmanuel Macron und seine Getreuen wissen das. In diesem Jahr steht die Reform des unfinanzierbar gewordenen Rentensystems an, erneut ein möglicher Auslöser für Massenproteste. Auch der zunächst vorsichtige Stellenabbau im öffentlichen Dienst und weitere Einschnitte bei den Staatsausgaben könnten für Widerstand sorgen. Alles, was er in den nächsten Jahren noch umsetzen will, ist potenziell gefährlich angesichts der Skepsis vieler Franzosen gegen seinen Modernisierungskurs. Macrons Bilanz aber wird mit seinen wirtschaftlichen Erfolgen stehen und fallen, und dazu braucht er auch Glück, nicht nur harte Arbeit und ein effizientes Programm.

Macrons frühere politische Konkurrenten haben ihren Absturz noch nicht verwunden. Sozialisten, Konservative und Rechtsextreme sind nach ihren vernichtenden Niederlagen weiter in der Selbstfindungsphase. Als Schwäche des Präsidenten wiederum könnte sich in den nächsten Jahren seine eigene Bewegung "En Marche" erweisen, die ihm zwar zur Wahl verholfen hat, sich aber noch nicht in eine lebendige Basispartei verwandeln konnte. Und er muss das Vertrauen von Franzosen außerhalb des bürgerlich-liberalen Lagers gewinnen. Eine Zustimmung von 50 Prozent bei den Wählern nach einem Jahr Amtszeit ist nicht schlecht. Aber sogar für Musterschüler Emmanuel Macron steht dazu auf dem Zeugnis: Kann noch besser werden.