Ja zur EU-Erweiterung, aber…
23. November 2012Mit großer Mehrheit - 571 von insgesamt 640 Abgeordneten stimmten dafür - hat am Donnerstag (22.11.2012) das Europäische Parlament in Straßburg eine nicht verbindliche Resolution zur Erweiterungsstrategie der EU verabschiedet: Die Europäische Union soll auf Erweiterungskurs bleiben. Zugleich erinnern die Abgeordneten in ihrer Entschließung jedoch an die strengen Kopenhagener Kriterien, die dafür Voraussetzung sind. Das Parlament fordert sogar eine neue Bedingung für Beitrittskandidaten: Diese sollen sich darum bemühen, Streitigkeiten mit ihren Nachbarn zum frühestmöglichen Zeitpunkt beizulegen - am besten noch vor ihrem EU-Beitritt.
Erweiterungsmüdigkeit macht sich breit
Dennoch überwiegt bei den EU-Parlamentariern eine positive Grundstimmung: "Viele von uns wären gar nicht da, wenn es die Erweiterung nicht gäbe", erklärten sämtliche Abgeordnete während der Debatte. Die Berichterstatterin des Europäischen Parlaments für die EU-Erweiterung, Marilena Koppá, warnte vor "Enttäuschung" infolge einer gewissen Erweiterungsmüdigkeit, die sich in Europa breitmache. Die EU-Erweiterung sei vielmehr einer der wichtigsten Erfolge der Außenstrategie der Europäischen Union. Und den gelte es zu bewahren.
"Diese sanfte Kraft Europas ist deutlich geworden mit der Verleihung des Nobelpreises an die EU", sagte Koppá, die griechische Europaparlamentarierin ist. Die Enttäuschung, die nun viele empfinden, sei dennoch gerechtfertigt. Die EU scheine sich immer höhere Ziele zu setzen, doch zugleich setzten manche Politiker mit ihren Äußerungen die Glaubwürdigkeit Europas aufs Spiel. Das gelte vor allem für Äußerungen zur Beitrittsfähigkeit "eines konkreten Staates", sagte Koppá in deutlicher Anspielung auf Bedenken gegen einen EU-Vollbeitritt der Türkei.
Keine Aufweichung der Kopenhagener Kriterien
EU-Erweiterungskommissar Stefan Fülle sagte dem Parlament zu, dass die vor zwanzig Jahren eingeführten "Kopenhagener Kriterien" weiterhin die Grundlage für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen sind. Aus Sicht der Erweiterungsberichterstatterin des Parlaments, Koppá, geht es um die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union: "Wenn ein Bewerberstaat alle Beitrittskriterien erfüllt, dann darf es keinen einzelnen Zweifel mehr geben, dass dieses Land in die europäische Familie gehört", meint die griechische EU-Abgeordnete.
Widerspruch kommt von den Europa-Skeptikern - etwa vom Abgeordneten der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Franz Obermayr: "Die Berichterstatterin scheint vieles durch die rosarote Brille zu sehen, vor allem wenn ich es aus dem Blickwinkel der Kopenhagener Kriterien betrachte", meinte Obermayr. Er könne jedenfalls keine positive Entwicklung in der Türkei erkennen: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Frauenrecht - das seien alles offene Fragen und keine Lösung sei in Sicht“, empörte sich der FPÖ-Politiker.
Finanzen - das alte Streitthema
Schon als Bulgarien und Rumänien der Union beitraten, beklagte das Europäische Parlament, dass die Aufnahme der beiden südosteuropäischen Länder nicht ausreichend finanziert war. In Krisenzeiten sind die Finanzen erst recht ein leidiges Thema, zumal auch Kroatien ab Sommer 2013 nach jahrelangen Verhandlungen EU-Mitglied wird. Mit einem Seitenhieb gegen Großbritannien kommentiert der spanische Abgeordnete Francisco José Millán Mon die Forderung nach drastischen EU-Etatkürzungen. "Ist das die EU, die wir wollen für die Zukunft? Wappnet man sich so für die künftigen Generationen? Jene, die für die Erweiterung eintreten, das sind auch gleichzeitig jene, die die größten Kürzungen vornehmen möchten", klagt der konservative Politiker.
In ihrer jetzt verabschiedeten Resolution setzen sich die EU-Abgeordneten für eine ausreichende Finanzierung künftiger Erweiterungsrunden ein. Zudem fordern sie die EU-Kommission und die nationalen Regierungen auf, der Skepsis vieler Menschen gegenüber neuen EU-Erweiterungen entgegenzutreten. Auch und gerade die heutige Krise dürfe das europäische Projekt nicht in Gefahr bringen, warnt der deutsche EU-Abgeordnete Knut Fleckenstein (SPD). "Wir können keine Politik betreiben an der öffentlichen Meinung der EU-Mitgliedstaaten vorbei." Deshalb sei es Aufgabe der Politik, diesen Beitritt klar zu gestalten und noch besser zu Hause zu erklären, mahnt Fleckenstein.