Ein Land in Kriegsstimmung
21. Dezember 2012Samstagmorgen in Sévaré, einer Stadt in Zentralmali. Auf einem staubigen Platz üben 50 junge Menschen das Marschieren. Ihre Schritte sollen fest und entschlossen klingen. Das ist gar nicht so einfach, denn die meisten tragen Flipflops. Die 24-jährige Rokiatau Coulibaly stört das nicht. Es hapere zwar noch an der Ausrüstung, aber der Kampfgeist sei ungebrochen, findet die junge Frau: "Ich bin hier, um den Norden zurück zu erobern. Es ist unser Land, und der Norden ist unteilbar."
Deswegen hat sich Rokiatau Coulibaly, Mutter von zwei Kindern, der FLN – den Befreiungskräften für den Norden – angeschlossen. Es ist eine von mehreren Milizen, die seit Monaten in Mopti und Sévaré Zivilisten auf den Kampf vorbereiten. Beide Orte sind zu Frontstädten geworden. Etwa hundert Kilometer weiter nördlich beginnt das von Islamisten besetzte Gebiet. Um das zu befreien, hat die FLN mehr als 1000 Mitglieder angeworben. Nach Monaten des Marschierens sollen sie nun auch an der Waffe ausgebildet werden. So plant es Ausbilder Moussa Traoré, der selbst zwölf Jahre lang Soldat war. Er hat bis heute gute Kontakte zur Armee: "Wenn ich zum Beispiel 30 Gewehre brauche, kann ich eine Anfrage einreichen".
Dialog oder Waffengewalt
Immer mehr Menschen setzten offenbar auf den Einsatz von Waffen im Kampf um den Norden. In der Hauptstadt Bamako wird beispielsweise regelmäßig dafür demonstriert, den Norden endlich zu befreien. Dort herrscht die radikal-islamistische Gruppe Ansar Dine (Verfechter des Glaubens), die Mali zu einem islamischen Staat mit Scharia machen will. Eine weitaus größere Gefahr könnte jedoch von den Terrorgruppen Al-Qaida des islamischen Maghreb (AQMI) sowie der Bewegung für Einheit und Jihad in Westafrika (Mujao) ausgehen. Beide haben längst Stützpunkte in Mali aufgebaut, sollen viele Kämpfer von außerhalb in das Land bringen und in den Drogenhandel verstrickt sein.
Doch für die Neu-Milizionärin Rokiatau Coulibaly lauert die Gefahr in einer ganz anderen Ecke. Es ist die Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA). Sie hat Anfang des Jahres zuerst die malische Armee in die Knie gezwungen und am 6. April den Norden zum Staat Azawad erklärt. Seitdem ist dieser aber größtenteils an Ansar Dine gefallen. Trotzdem heißt es in Mali gerne: Die MNLA hat dem ganzen Übel Tür und Tor geöffnet. Für Ausbilder Moussa Traoré müssen deshalb die Separatisten zuerst bekämpft werden – aber auf gar keinen Fall mit einem Dialog. Der wird von einigen politischen Gruppierungen in Bamako favorisiert. "Der würde doch nicht lange halten. Und wenn es tatsächlich dazu kommt, wird die MNLA dann in die Regierung integriert oder in die Armee? Das akzeptieren wir nicht."
Nicht jeder Tuareg will Azawad
Die MNLA galt anfangs als die Armee der Tuareg, die mehr Rechte und eine Autonomie für das Nomadenvolk forderte. Doch längst nicht jeder Tuareg steht hinter ihr. Für Azima Mohammed Ag Ali jedenfalls sind die MNLA-Ziele nebensächlich. "Ein eigener Staat hat keine Priorität für mich. Was ist das schon?", fragt der Vater von drei Kindern, der seit einigen Wochen in Bamako lebt. Er stammt aus Timbuktu. Doch dort ist es ihm und seiner Familie zu gefährlich geworden.
Schuld daran sei aber nicht alleine die MNLA, sondern AQMI. "Die Gruppe ist nicht nur eine Bedrohung für Mali und Afrika, sondern für die ganze Welt", sagt er und versteht nicht, warum die internationale Gemeinschaft so zögerlich ist: "Wenn die Europäische Union Mali helfen will, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen."
Politisches Chaos in der Hauptstadt Bamako
Doch ein internationaler Einsatz ist nicht in greifbarer Nähe. Mitte Dezember setzte Hauptmann Amadou Haya Sanogo in Bamako den Premierminister vor die Tür. Sanogo hatte am 22. März gegen die Regierung geputscht und lässt seitdem gerne seine Muskeln spielen. Neuer Premier ist nun Diango Cissoko, den viele Malier zumindest nicht für schlechter als Vorgänger Cheick Modibo Diarra halten. Doch auf internationaler Ebene gilt Mali deshalb wieder als viel zu instabil. In Sévaré will sich Rokiatau Coulibaly deshalb lieber selbst auf den Kampf vorbereiten. "Ich habe die ganze Ausbildung hinter mir. Jetzt könnte ich zeigen, wie sehr ich mein Land liebe."