Pläne für Syriens Wiederaufbau
30. August 2012Der syrische Bürgerkrieg ist noch nicht zu Ende, doch schon die bisherige Schadensbilanz ist verheerend: Auf rund 2,2 Milliarden US-Dollar hat die syrische Regierung einem Bericht des Informationsdienstes "The Syria Report" zufolge die durch die Kämpfe hervorgerufenen Schäden beziffert. Das ganze Land leide unter dem Krieg, erklärt der Ökonom Emad Tinawi, der im "Day After"-Projekt erste Pläne für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Syriens entwirft. In allen größeren und vielen kleineren Städten des Landes sind Stadtviertel teilweise beschädigt oder ganz zerstört. Aufgerissene Straßen, zerschossene Wohnblocks, eine zerstörte Infrastruktur, nicht mehr produktionsfähige Industrieanlagen: keine Region, die durch die Auseinandersetzungen nicht in Mitleidenschaft gezogen worden wäre.
Syrien, erklärt Tinawi, müsse nach Assads Sturz umgehend wieder aufgebaut werden, um das Leiden der Bevölkerung zu mindern. Damit das aber gelinge, müssten einige Voraussetzungen erfüllt sein: "Es kommt darauf an, dass das Land sich dann sehr rasch stabilisiert und sicher wird. Es braucht eine neue Regierung." Zu den wichtigsten Aufgaben einer neuen Regierung gehöre es darum, eine stabile Waffenruhe zu etablieren. Nur unter dieser Bedingung lasse sich an einen Wiederaufbau überhaupt denken. "Geht die Gewalt hingegen weiter, steht es um die Aussichten auf wirtschaftliche Gesundung erheblich schlechter. Außerdem würde der Wiederaufbau des Landes dann sehr viel länger dauern."
Ökonomische Chancengleichheit
Langfristig sei für einen erfolgreichen Wiederaufbau noch etwas entscheidend, erläutert Tinawi: die Bereitschaft der Syrer, verstärkt Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen. Unter der Diktatur hätten sie sich um den Staat, um öffentliche Angelegenheiten, kaum gekümmert. Außerdem habe sich die Bevölkerung daran gewöhnt, mit Korruption und Vetternwirtschaft zu leben - was ebenfalls katastrophale Folgen für die politische und damit auch ökonomische Entwicklung gehabt hätte. Darum müsse man alle Formen der Günstlingswirtschaft entschieden bekämpfen. Ganz wesentlich komme es auch auf Chancengleichheit an. "Alle Syrer sollen fortan die gleichen Möglichkeiten haben, am Wirtschaftsleben teilzunehmen. Die Wirtschaft muss allen offenstehen - und nicht nur den Mitgliedern einer bestimmten Familie, eines Stammes, Clans oder einer politischen Partei."
Gewaltiger Brain drain
Noch etwas mache den Wiederaufbau schwierig, erklärt Tinawi: Das Land habe einen gewaltigen brain drain erlitten. 40 Jahre Diktatur hätten der Kreativität der syrischen Gesellschaft sehr zugesetzt. Den Rest habe dann der Bürgerkrieg besorgt: "Viele Syrer sind aus dem Land geflohen. Es wird Zeit brauchen, bis sie zurückkehren, denn sie sind ja zur Flucht gezwungen worden."
Umso mehr, erklärt Rami Nakhla, der Koordinator des "Day After"-Projekts, komme es darauf an, dass Syrien Partner für den Wiederaufbau gewinne. Dem Land fehle es an vielem - vor allem an Geld. "Daher muss es darum gehen, einen nationalen Wirtschaftsrat einzurichten." Ebenso steht eine Geberkonferenz auf dem Plan, vielleicht unter dem Schirm der Gruppe der "Freunde Syriens" - für Nakhla ein erfolgversprechender Weg, um die für den Wiederaufbau nötigen Mittel in das Land zu holen.
Dramatischer Währungsverlust
Kurzfristig hat das Land aber noch mit einem weiteren Problem zu kämpfen: einer strauchelnden Währung. Gut die Hälfte ihres Wertes hat die syrische Lira seit Ausbruch der Kämpfe vor 17 Monaten verloren. Darum komme es darauf an, den weiteren Zerfall möglichst umgehend zu stoppen. Das sei aber nicht die einzige währungspolitische Herausforderung, so Tinawi: "Die syrische Lira war von der Regierung künstlich aufgebläht worden. Es kommt also darauf an, mit den Reserven des Landes angemessen umzugehen, eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu entfalten, zu der auch eine durchdachte Fiskalpolitik gehört."
Doch die syrische Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen, wird Jahre dauern, fürchtet Tinawi. Das Land habe die letzen Monate unter einer Kriegsökonomie gelebt. Jetzt komme es darauf an, wieder zu einer Friedensökonomie zurückzufinden. Das dürfte nicht einfach werden. Denn das Land hat nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Schäden erlitten. Diese Wunden zu heilen, weiß man aus anderen Krisengebieten, erfordert mindestens ebenso viel Zeit wie die Behebung der physischen Zerstörungen.