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Ein Roman über den Widerstand gegen Hitler

Sarah Hofmann12. Oktober 2012

Verklärt, verunglimpft oder schlicht ignoriert: Widerstandskämpfer gegen die Nazis. Ein Buch fragt jetzt: Was brachte Menschen dazu, für die bessere Sache ihr Leben zu riskieren.

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er Bendlerblock - Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Foto: Wolfgang Kumm +++(c) dpa - Report+++
Bild: picture-alliance/ dpa

Wer waren sie, die bekannten oder unbekannt gebliebenen Helden, die sich dem Hitler-Regime entgegenstellten? Was erzählen uns die Schicksale von Mildred und Arvid Harnack, Hilde und Hans Coppi, Dietrich Bonhoeffer, Freya von Moltke, Claus Graf Schenk von Stauffenberg?  Ein neuer Roman geht dieser Frage nach. Der Titel "Wer wir sind" vermittelt eine doppelte Botschaft, wie Autorin Sabine Friedrich im Gespräch mit der Deutschen Welle sagt. Es sind einerseits die Widerstandskämpfer selbst, die sich und ihr Leben hier den heutigen Lesern vorstellen. Gleichzeitig aber stecke darin auch die Frage nach den Motiven von Menschen in Ausnahmesituationen. "Das ist es, was mich die gesamte Zeit über angetrieben hat", sagt die Autorin: "Wie kommt ein Mensch dazu, sich in eine Position zu bewegen, in der er damit rechnen muss, dass man ihn umbringt?" Man könnte hinzufügen, dass sich drittens auch an die Leser die Frage richtet, wer sie heute sind und was dieses historische Erbe mit ihnen zu tun hat.

Freya mit ihren Söhnen Helmuth Caspar (links) und Konrad, Foto: Helmuth Caspar von Moltke
Ihr Mann Helmuth James wurde hingerichtet: Freya von Moltke mit den Söhnen Helmuth Caspar und KonradBild: Helmuth Caspar von Moltke

Opulenter Roman

Sechs Jahre hat Sabine Friedrich an ihrem Buch gearbeitet, sich immer weiter in die Geschichten derjenigen vertieft, die sich gegen Hitler stellten, von denen sehr viele durch die Nazis ermordet wurden, einige überlebt haben. Herausgekommen sind unfassbare 2019 Seiten – eine opulente Schilderung, fast so etwas wie ein Epos, das die Grenzen existentieller Probleme auslotet. Und eine Herausforderung für die Leser. Ihre Recherchen und die Schreibarbeit hat die Autoren zusätzlich in einem Werkstattbericht  dokumentiert.

Der Roman beginnt nicht in Deutschland, wie man vielleicht erwarten könnte, sondern in den USA, in Milwaukee im Jahr 1917. Es ist die Heimatstadt von Mildred Harnack, damals noch Mildred Fish. Bald schon wird sie den Deutschen Arvid Harnack kennenlernen, der mit Hilfe eines Rockefeller-Stipendiums eine Zeitlang in den USA studieren kann. Lange bevor beide zu aktiven Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus werden, erfahren wir von ihren Gesprächen über eine gerechtere, soziale Gesellschaft, lernen ihre Gedanken über den Kommunismus, ihre Leidenschaft für Literatur kennen. Und wir sehen sie als liebendes Paar. "Sie haben ja nicht die ganze Zeit zu Hause gesessen und sich überlegt, wie bringen wir jetzt Hitler um?", sagt Sabine Friedrich: "Sie waren Menschen, die geliebt, gestritten und gebangt haben."

Adolf Hitler und der italienische Ministerpraesident und 'Duce' Benito Mussolini besichtigen die Schaeden im Fuehrerhauptquartier 'Wolfschanze' im damaligen Ost-Preussen nach dem versuchten Attentat am 20. Juli 1944. (ddp images/AP Photo) **
Nach dem Attentat 1944: Hitler besichtigt die Schäden in der Wolfsschanze:Bild: AP

Liebe in Zeiten der Grausamkeit

Die Harnacks ziehen nach Berlin, erleben Hitlers Machtantritt, knüpfen Kontakte zur Opposition: Harro Schulze-Boysen und seine Frau Libertas zunächst, die später auch Verbindungen zur  "Roten Kapelle" haben werden, einem von den Nationalsozialisten so bezeichneten Verbund mehrerer Widerstandsgruppen, darunter auch Kommunisten, die Verbindungen zur Sowjetunion hielten. Ein wichtiger Teil des Buches von Sabine Friedrich widmet sich der Frage, wie die beiden deutschen Staaten nach dem Krieg mit diesem Erbe umgingen. Wir lesen, wie die „Rote Kapelle“ in der DDR vereinnahmt und heroisiert wurde. Wir lesen, dass in der Bundesrepublik erst einmal andere, nämlich Adlige und Offiziere als Widerstandskämpfer gerühmt wurden, der gescheiterte Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf Stauffenberg etwa oder Helmut James Graf von Moltke vom Kreisauer Kreis. Der Widerstand gegen das NS-Regime war zum Thema in der Auseinandersetzung der politischen Systeme geworden. Dies bestätigt im Gespräch auch Peter Steinbach, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und sagt: "Dabei geriet aus dem Blick, dass im Grunde genommen alle Regimegegner ein Ziel einte: Hitler zu überwinden."

Das Denkmal für den Hitler-Attentäter Georg Elser steht am Dienstag (01.11.2011) an der Ecke Wilhelmstraße/An der Kolonnade in Berlin. Elser hatte am 08.11.1939 im Bürgerbräukeller in München ein Attentat auf Adolf Hitler verübt und war kurz vor Kriegsende verurteilt und erschossen worden. D Foto: Soeren Stache dpa/lbn +++(c) dpa - Bildfunk+++ pixel
Berliner Denkmal für einen Widerstandskämpfer: Erinnerung an Georg ElserBild: picture-alliance/dpa

"Was wäre gewesen wenn..."

Sabine Friedrich zeigt in ihrem Roman eben diese Gemeinsamkeit auf. Und sie geht noch einen Schritt weiter. Sie lässt nicht nur erkennen, wie viele ähnliche Einsichten und Interessen die Angehörigen der unterschiedlichen Gruppen hatten, sondern zeigt auch das Netz verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Beziehungen der Oppositionellen untereinander auf. Hätte man sich, jenseits aller politischen Unterschiede, gemeinsam gegen Hitler stellen können? Eine Frage, die im Buch immer wieder formuliert, aber natürlich nicht beantwortet werden kann. Eine legitime Frage, wie Historiker Peter Steinbach findet:  "Ich glaube, dass die Gruppen heftig miteinander gestritten hätten, um den Weg nach Hitler. Ein gelungenes Attentat aber hätte unendliches Leiden nicht nur von Deutschland, sondern von ganz Europa abwenden können. Die Hälfte aller Toten, die während des Zweiten Weltkriegs in Europa gestorben sind, sind erst nach dem 20. Juli 1944 ums Leben gekommen." Steinbach ist Wissenschaftler – aber er findet es legitim, dass heute mit den Mitteln eines Romans ein neuer Blick auf die historischen Ereignisse geworfen wird. 

Zufälle und Geschichte

Ein Roman, in dem die Verkettung unglücklicher Umstände eine wichtige Rolle spielt  Sabine Friedrich beleuchtet auch diesen Teil der Geschichte des deutschen Widerstands. Viele Funksprüche der "Roten Kapelle" seien in Moskau entweder nicht angekommen oder nicht ernst genommen worden. Die Bombe, die Stauffenberg platzierte, tötet Hitler nicht, weil er den Raum vorzeitig verlassen hatte.  Die Bombe, die Hans von Dohnanyi und Henning von Tresckow in das Flugzeug des "Führers" schmuggelten, zündet nicht. Auch das Attentat im Münchner Bürgerbräukeller 1938 geht schief, Hitler ist bereits weg, als der von Georg Elser so sorgfältig konstruierte Sprengsatz explodiert. Sabine Friedrich, die anschaulich zeigt, wie unvorhergesehene  Momente und kleine Zufälle den Lauf der Geschichte völlig verändern können, schreibt, diese Fehlschläge, ihre Opfer und die Fortdauer des Terroregimes seien im Grunde "eine große Gemeinheit".

Die Autorin betrachtet sich als eine Erbin dieses dunklen Teils der deutschen Vergangenheit. Sie hat sich mit den Widerstandskämpfern beschäftigt, sie identifiziert sich mit ihnen – und sie ist, wie sie sagt,  erschüttert darüber, dass die Namen der NS-Täter heute vielfach bekannter sind, als die der mutigen Oppositionellen. Das Vermächtnis des deutschen Widerstandes aber bleibe die Hoffnung: "Die Hoffnung auf die  Fähigkeit des Menschen, trotz unmenschlicher Verhältnisse immer wieder zum Guten, zur Versöhnung, zur Freiheit zu streben".

Die Buchautorin Sabine Friedrich Copyright: Astrid Eckert
Buchautorin Sabine FriedrichBild: Astrid Eckert

Informationen zu den Büchern:

Sabine Friedrich: Wer wir sind. Roman. 2032 Seiten, 29,90 Euro. dtv, 2012.

Sabine Friedrich: Wer wir sind. Der Roman über den deutschen Widerstand. Materialien, Texte und Bilder. 286 Seiten, 9,90 Euro. dtv, 2012.