Schwieriges Verhältnis - auch nach zehn Jahren
28. Juni 2012"Der Internationale Strafgerichtshof hat sich seit seiner Gründung vor zehn Jahren zu einer sehr soliden, voll funktionsfähigen Rechtsinstitution entwickelt." Sang Huyn-Song, der Präsident und oberste Richter des Gerichtshofs, zieht heute eine positive Bilanz des Gerichts, das im Juli 2002 in Den Haag seine Arbeit aufnahm. Doch damals, so erinnert sich der südkoreanische Jurist, seien er und seine 17 Richterkollegen "überhaupt nicht sicher gewesen, ob dieser neue internationale Gerichtshof die Feindseligkeiten der Großmächte überleben“ würde.
Für diese Befürchtung gab es damals handfeste Gründe. Die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien hatten zunächst 50 Jahre lang die Gründung eines internationalen Strafgerichtshofs untergraben. Und das obwohl die UN-Generalsversammlung bereits 1946 die Schaffung eines solchen Gerichtshofes nach Vorbild des Nürnberger Tribunals über die Nazi-Verbrecher beschlossen hatte. Der neue internationale Strafgerichtshof sollte zuständig sein für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen und Angriffskrieg. Als 1998 schließlich 125 Staaten das Statut für einen Strafgerichtshof beschlossen, stimmten von den fünf ständigen Mächten im UNO-Sicherheitsrat nur Großbritannien und Frankreich zu.
Start mit eingeschränkten Befugnissen
Die USA, Rußland und China votierten dagegen und sind dem Gerichtshof bis heute nicht beigetreten. Die USA setzten zudem zahlreiche Staaten unter Druck, ebenfalls auf eine Mitgliedschaft zu verzichten. Allerdings ist der Internationale Strafgerichtshof nicht so unabhängig, wie sich das seine Befürworter in den 90er Jahren ursprünglich vorgestellt hatten. Denn um die eigenen Staatsbürger vor Strafverfolgung zu schützen, setzten die USA, China und Russland bei den Verhandlungen über das Statut durch: Der Chefankläger des Gerichtshofes darf keine Ermittlungen gegen Bürger eines Landes führen, das nicht Mitglied des Gerichtshofes ist. Mit mutmaßlichen Tätern in Ländern, die das Statut nicht unterschrieben haben, darf sich das Gericht nur dann beschäftigen, wenn der UN-Sicherheitsrat dies beschließt.
Diese Einschränkung der Unabhängigkeit des Gerichtshofes führt dazu, daß der Gerichtshof bislang keine Ermittlungen wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen in Syrien aufnehmen konnten. "Es ist für mich frustrierend, dass Verbrechen begangen werden, und wir nichts tun können", klagt Fatou Bensouda, die neue Chefanklägerin des Gerichtshofes. Auf die Entscheidungen des Sicherheitsrates habe sie keinen Einfluß.
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navanethem Pillay, hat diese Möglichkeit. Sie forderte den Sicherheitsrat bereits im Februar auf, aktiv zu werden und den Gerichtshof per Beschluss mit Ermittlungen im Fall Syrien zu beauftragen. Sie selber "und eine Untersuchungsskommission des UN-Menschenrechtsrates sind zu dem Ergebnis gekommen, dass in Syrien wahrscheinlich Verbrechen gegen die Menschheit begangen wurden", so die Begründung der Hochkommissarin.
Wenige Ausnahmen
Nur in zwei Fällen hat der Sicherheitsrat bislang von seinem Recht Gebrauch gemacht, den Gerichtshof mit Verfahren gegen Bürger eines Landes zu beauftragen, das nicht Mitglied des Gerichtshofes ist. Er beschloss das Gericht anzuweisen, gegen den amtierenden sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir zu ermitteln und später gegen Saif al-Islam Gaddafi, den Sohn des libyschen Ex-Diktators. Insbesondere den Ermittlungsauftrag gegen Bashir werteten viele Beobachter als Indiz dafür, dass vor allem die USA ihr Verhältnis zum Internationalen Strafgerichtshof normalisieren.
Ein Beitritt der USA - und damit die Unterwerfung ihrer Staatsbürger unter die Gerichtsbarkeit des IStGH in Den Haag - ist von der Obama-Administration allerdings bislang nicht geplant. Von dem republikanischen Präsidentschaftsanwärter Mitt Romney wird er sogar entschieden abgelehnt.
In den vergangenen drei Jahren erließ der Gerichtshof auf Antrag des bisherigen Chefanklägers Moreno-Ocampo zwei Haftbefehle gegen Bashir wegen Verbrechen gegen die Menschheit, Völkermord und Kriegsverbrechen. Doch die Haftbefehle blieben bislang folgenlos. Omar al-Bashir kann sich auf dem afrikanischen Kontinent immer noch weitgehend frei bewegen - selbst in Mitgliedsstaaten des Gerichtshofes, die zu seiner Festnahme und Auslieferung nach Den Haag verpflichtet wären. Moreno-Ocampo appellierte inzwischen an den Sicherheitsrat, dazu beizutragen, dass der Haftbefehl endlich umgesetzt wird. Vor dem Ende seiner regulären Amtszeit hatte er im Juni gefordert, "Mitgliedsstaaten der UNO oder aber regionale Organisationen wie die Afrikanische Union mit der Festnahme Bashirs zu beauftragen."