Stillstand, der Janukowitsch nützt
29. Januar 2014Leonid Krawtschuk sprach Klartext. In der Ukraine gebe es einen Aufstand und parallele Machtstrukturen. "Das Land steht kurz vor einem Bürgerkrieg", sagte der 80-Jährige, der Anfang der 1990er Jahre erster Präsident der unabhängigen Ukraine war, im ukrainischen Parlament. Um das zu verhindern, müsse ein konkreter Plan her. Er und sein Amtsnachfolger Leonid Kutschma wären bereit, diesen Plan den Menschen auf der Straße zu erklären. Krawtschuk will auch mit dafür sorgen, dass er befolgt wird.
Streit um das Amnestiegesetz
Aber das dürfte noch dauern, denn das Parlament trat am Mittwoch zunächst stundenlang auf der Stelle. Erst am späten Abend gelang es, ein Gesetz über die Amnestie für oppositionelle Demonstranten zu verabschieden. Zur Bedingung wurde allerdings gemacht, dass alle besetzten Verwaltungsgebäude von den Regierungsgegnern geräumt werden müssen. Der Beschluss in der Hauptstadt Kiew erfolgte am Abend ohne Stimmen aus der Opposition, die sich nicht an dem Votum beteiligte.
Von 416 anwesenden Abgeordneten im Parlament stimmte eine Mehrheit von 232 Parlamentariern für das Gesetz, elf votierten dagegen. Viele Oppositionspolitiker hatten bis zuletzt gegen das Gesetz protestiert. Sie wollen eine bedingungslose Freilassung der Demonstranten. Folgerichtig machte die Opposition ihrem Ärger über das Vorgehen der regierenden Partei der Regionen von Staatschef Viktor Janukowitsch lautstark Luft.
Opposition räumt ein Ministerium
Mit dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Mykola Asarow und der schnellen Annullierung umstrittener Gesetze, mit denen das Demonstrationsrecht eingeschränkt worden war, machte Janukowitsch am Dienstag einen ersten Schritt auf die Opposition zu. Diese ließ im Gegenzug tags darauf das von Protestlern besetzte Agrarministerium räumen. Der Präsident fordert aber, dass alle Verwaltungsgebäude geräumt werden. Das dürfte schwierig werden, denn die Oppositionspolitiker haben einen Teil der Protestler nicht unter Kontrolle.
Eine schnelle Lösung der politischen Krise ist nach wie vor in weiter Ferne. Über die Kernforderung der Demonstranten - Neuwahlen - wurde noch nicht verhandelt. Auch eine Verfassungsänderung zu Gunsten einer parlamentarisch-präsidialen Demokratie dürfte Tage und Wochen dauern.
Die Verzögerungen spielen Janukowitsch in die Hände. Er und seine Regierung bekommen mehr Zeit, um die Proteste unter Kontrolle zu bekommen und um diese eventuell doch noch mit Gewalt aufzulösen. Im Kiewer Regierungsviertel stehen immer mehr Schützenpanzer und Polizisten. Aus dem Osten und Süden der Ukraine wird gemeldet, wie Gebietsverwaltungen sich mit Betonblöcken vor einem Sturm durch Oppositionelle schützen. Berichten zufolge werden weiterhin Aktivisten festgenommen.
Ashton erneut in Kiew
Vor diesem Hintergrund verstärkt die Europäische Union ihre Präsenz in Kiew. Nach einem Besuch des EU-Erweiterungskommissars Stefan Füle kam am Mittwoch die Außenbeauftragte Catherine Ashton - zwei Tage früher als zunächst geplant. Auch EU-Parlamentarier wie Elmar Brok von der CDU sind nach Kiew gereist und treffen sich sowohl mit der Regierung als auch mit der Opposition.
Es scheint, als würde die EU über eine friedliche Lösung der Krise verhandeln, ohne das an die große Glocke zu hängen. Eine Bestätigung dafür gibt es aber nicht. Russland dagegen hält sich zumindest offiziell zurück. Seit Ausbruch der Krise hat noch kein hochrangiger russischer Politiker Kiew besucht.
Keine Gewalt seit Wochenbeginn
Die Demonstranten in der Kiewer Innenstadt sind weiterhin entschlossen, trotz eisiger Kälte auf den Plätzen und Straßen auszuharren. Sie misstrauen den Oppositionspolitikern und wollen so lange bleiben, bis der Präsident zurücktritt oder Neuwahlen ankündigt.
Janukowitsch geht auf diese Forderung nicht ein. Auf den Barrikaden in der Hruschewski-Straße, wo sich Polizei und radikale Demonstranten gegenüberstehen, brennt seit Anfang dieser Woche nur ein kleines Feuer. Man hört keine Schüsse oder Explosionen, es fliegen auch keine Molotow-Cocktails. Es kann aber jederzeit wieder losgehen.