Ein Streifzug durch Berlins Mode-Szene
9. September 2005Ein schulterfreies Cocktailkleid, hellgrün-pink gestreift mit Blumen, daneben ein knielanger Glockenrock mit schwarzen Diagonalstreifen, grün-gelbe, halbdurchsichtige Netzoberteile - wie aus Seegras geflochten. Die Auslage im Schaufenster des Berliner Labels "Thatchers" macht erst einmal neugierig. Und ist doch nur eine von vielen auf der belebten Kastanienallee im Prenzlauer Berg. Hier, neben den Cafés, in denen schon morgens Studenten oder Touristen in der Sonne sitzen und Zeitung lesen, haben sich seit ein paar Jahren junge Designer angesiedelt.
"Als wir den ersten Laden aufgemacht haben, 2000, ab da kann man sagen, ging die Entwicklung hier richtig los," sagt Thomas Mrotzek, einer der Macher von "Thatchers". Damals sei die Straße noch ziemlich tot gewesen. Aber viele leer stehende Ladenlokale und erschwingliche Mieten lockten die jungen Kreativen an.
Mittlerweile preisen diverse Reiseführer die Kastanienallee, in der heruntergekommene Altbauten neben frisch renovierten Gründerzeithäusern stehen, als die wichtigste Berliner Adresse für "individuelles Einkaufen" an. Ralf Henselek, der andere Mann hinter "Thatchers", beschreibt die Faszination: "Der Berliner Stil hat immer so was leicht Improvisiertes, also dass die Leute selber individuell mit der Mode umgehen. Man kann hier Sachen mischen mit Second Hand und irgendwelchen Designer-Teilen. Das ist eine spezielle Art von Lockerheit."
Tür schließen wegen der Katze
Das Atelier der beiden "Thatchers"-Gründer liegt ein paar hundert Meter neben ihrem Geschäft. Durch einen Hinterhof geht man in den etwas muffig riechenden Seitenflügel, an den Wänden der dreckig-graue Putz. Im obersten Stock an der schweren Eisentür ein Schild: "Tür schließen wegen der Katze." Im Vorderraum des Ateliers stehen Ankleidepuppen herum. An Stangen hängen Kleider und Röcke. Riesige Fenster, ein großer Tisch in der Mitte. Eine junge Frau schneidet Stoff zu, eine andere bügelt. Der rot getigerte Kater "Gucci" springt auf einen Stuhl und jagt wieder herunter.
Thomas Mrotzek und Ralf Henselek stört das nicht. Konzentriert sitzen sie hinter ihren ratternden Nähmaschinen: "Berlin ist auf eigenwillige Weise auf jeden Fall eine Modestadt, es ist einfach ganz anders als Paris, wo eben alles schon durch bestimmte Normen und stark konservative Orientierung geregelt ist."
Der 70 Quadratmeter kleine Laden von Sarah Elbo sieht ein bisschen so aus, wie eine puristisch eingerichtete Wohnung. In der Mitte steht ein grauer Sessel. Auf einem Glastisch ein Strauß weißer Lilien. An einer Kleiderstange an der Wand hängen etwa 35 von ihr angefertigte Stücke. Rückenfreie Oberteile in kakigrün mit japanischen Verzierungen, kurze Plusterröcke, weiße lange Kaftane.
Vor einem halben Jahr hat die gebürtige Kopenhagenerin ihre eigene Marke "Sarah Heart-Bo" gegründet. Vom Laden aus kann man direkt auf die Nähmaschine und das Bügelbrett im angrenzenden Atelier sehen. "Wo gibt´ s denn das noch? Dass es ein Geschäft gibt, in dem die Designerin ist, die ihre eigene Linie macht, das professionell durchzieht und nur ihr Zeugs in ihrem Laden verkauft."
Von der Kastanienallee aus fährt die Straßenbahn direkt zum Hackeschen Markt, in die neue Berliner Mitte. Auch hier reiht sich ein Schaufenster an das andere. Flippige Röcke aus übereinander genähten Stoffen, Lederschuhe im Croco-Look, Taschen aus pinkfarbenem Kunstfell. In den kleinen Seitenstraßen und in den berühmten Hackeschen Höfen mit ihren originalgetreu restaurierten Jugendstil-Fassaden, schossen in den letzten Jahren - neben Cafés und Kneipen - viele kleine Geschäfte von jungen Designern aus dem Boden.
Auf zum Kudamm
Schon seit zehn Jahren hat die Modedesignerin Nanna Kuckuck ihr Geschäft in der Bleibtreustraße, nähe Kurfürstendamm. Bei Betreten der Boutique kommt man schlecht aus dem Staunen heraus. Wie kleine Kunstwerke sehen die farbenprächtigen Entwürfe der Berlinerin aus. Die extravaganten Oberteile aus besticktem, indischem Sari-Stoff, die kaskadenartig drapierten Kleider und die glamourösen Abendroben aus gerafftem Plissee. Schauspielerin Katja Riemann lief schon zur Verleihung des deutschen Filmpreises in einem echten "Nanna Kuckuck" über den roten Teppich.
Hier um den Kurfürstendamm herum, der in den 1920er-Jahren der "Laufsteg Berlins" genannt wurde, ist die Modeszene etabliert. Während Designerläden von Jil Sander bis Gucci auf dem Boulevard vertreten sind, haben Modeschöpferinnen wie Nanna Kuckuck die kleineren Seitenstraßen erobert. In der Bleibtreustraße, mit ihren hohen Bäumen und den Stuck besetzten Fassaden scheint die Sonne auf Bistrotische und auf die Schaufenster mit glamourösen Kleidern und Hüten. Ein bisschen erinnere sie das Flair an die Modemetropole Paris, und wenn eine deutsche Stadt ein kreatives Potenzial verströme, dann sei es Berlin, sagt Nanna Kuckuck.