Ein schöner Schandfleck
24. März 2014Endlich hat der Nieselregen aufgehört. Die Granitplatten vor dem Kölner Dom sehen aus wie frisch mit Klarlack überzogen. Schon kriechen die ersten Touristen unter ihren Regenschirmen hervor. Die wenigsten wissen, dass sie auf der Domplatte sind. Sie ist eine Sehenswürdigkeit auf den zweiten Blick - stets etwas im Schatten des mächtigen Bauwerks, das jährlich Millionen Besucher anzieht.
Beliebt ist die 7000 Quadratmeter große Fußgängerzone rund um den Dom dennoch. Selbst bei Schmuddelwetter wie an diesem Samstag posieren zahlreiche Besucher auf der riesigen Freitreppe, die den Hauptbahnhof mit der höher gelegenen Domplatte verbindet: Studenten aus Indonesien, japanische Deutschlandreisende, russische Honeymooner. Alle wollen ein Erinnerungsbild mit Dom, von schräg unten ist das gewaltige Bauwerk am besten abzulichten.
"Was ist das?", fragt Shivani Monga, Reisebloggerin aus Indien. Schnurstracks steuert sie auf einen Musiker mit gehäkelter Reggaemütze zu. Noch bevor der aufschaut, hat sie bereits zig Fotos seiner "Steel Pan" geschossen - ein Musikinstrument aus Trinidad und Tobago. Für Smalltalk hat der Künstler keine Zeit, der ist ganz in seine Musik vertieft. Die Domplatte ist sein Arbeitsplatz, mit karibischer Gute-Laune-Musik verdient er gutes Geld, auch an regnerischen Tagen.
Weg mit den Schmuddelecken
"Die Domplatte ist das Herz von Köln", erklärt Frank Lambertin. Seit 25 Jahren betreibt er ein Fotogeschäft direkt an der Nordseite des Doms und verkauft neben Kameras auch Dom-Souvenirs und Postkarten. Lambertin kennt die Domplatte noch aus Zeiten, als sie mit "schlecht riechenden Schmuddelecken" und "pöbelnden Rosenverkäufern" in Verbindung gebracht wurde.
Gegen dieses Image kämpft die Stadt Köln seit einigen Jahren an. 2005 ließ sie die verwinkelte Konstruktion aus Rolltreppen und tiefen Schächten durch eine großzügige Freitreppe ersetzen. "Dadurch ist es viel offener und freundlicher geworden", lobt Frank Lambertin. Auch an der Ostseite des Doms soll die unübersichtliche Betonkonstruktion abgerissen und alles heller gestaltet werden, die Bauarbeiten laufen noch.
Dabei ist die Domplatte relativ jung. 1971 wurde sie nach einem Entwurf des Architekten Fritz Schaller fertig gestellt. Bis dahin rauschte der Verkehr siebenspurig direkt am Dom vorbei - jetzt fahren die Autos durch einen Tunnel unter der Domplatte. Außerdem schafft sie eine Verbindung zwischen der Innenstadt und dem kleinen Hügel, auf dem der Dom steht. Dank der Domplatte gelangt man nun barrierefrei zur beliebten Kölner Einkaufsmeile "Hohe Straße".
"Schäbig, aber hübsch" sei die Domplatte, meint Reisebloggerin Shivani Monga und das trotz der noch andauernden Renovierungsarbeiten. Zwei Schwestern aus den Philippinen loben, wie sauber und sicher es hier trotz der vielen Menschen sei.
Protestaktionen und Fantreffen
Um Punkt 12 Uhr schlagen die Domglocken, für einen kurzen Augenblick bricht die Sonne durch. Auf der riesigen Freifläche der südlichen Domplatte zieht die Wahl-Kölnerin Susanne Brock dennoch den Reisverschluss ihrer Outdoorjacke etwas höher. "Egal zu welcher Jahreszeit, es ist immer windig und zugig hier", sagt Brock, die seit zwölf Jahren in der Stadt lebt. Hassliebe würde ihre Beziehung zur Domplatte wohl am besten beschreiben. Die ersten fünf Jahre traute sie sich auch nicht in der gigantischen Tiefgarage unter der Domplatte zu parken, weil es ihr dort zu unheimlich war.
Inzwischen hat sie das Schrullige an der Domplatte schätzen gelernt. "Wo ist die Klagemauer denn heute?", fragt Susanne Brock und meint damit die gleichnamige umstrittene Kölner Initiative, die in den 1980er Jahren entstand und zunächst die Wohnungsnot in der Stadt anprangerte, später Antikriegsproteste organisierte und auch zum palästinensisch-israelischen Konflikt Stellung bezog. An diesem wolkenverhangenen Nachmittag sind jedoch weder Plakate noch demonstrierende Menschen zu sehen.
Stattdessen kreischen am Südturm des Doms hunderte Teenager aufgeregt durcheinander. Sie haben sich auf der Domplatte zu einem Fantreffen verabredet. Zwei Beauty-Bloggerinnen sollen hier eine Autogrammstunde geben. Stolze Selfies werden geschossen - Selbstporträts mit dem Smartphone als Erinnerung an den großen Moment. Das Fernsehen ist auch schon da. Denn das kann die Domplatte auch gut: Bühne sein für Stars und solche, die es werden wollen.
Rau und charmant
Nur wenige Schritte weiter östlich, in Richtung Rhein, ist das Gekreische des Teenager-Tumults verhallt, nur ein paar Tauben picken nach Essbarem. Wer an die Ostseite des Doms kommt, sucht keinen Trubel. Hier mündet die Domplatte ins Römisch-Germanische Museum und ins Museum Ludwig für moderne und zeitgenössische Kunst.
Am frühen Nachmittag nieselt es wieder. Doch die Domplatte und ihre Menschen stört das nicht, für ihren Mikrokosmos brauchen sie keinen Sonnenschein. Rau und charmant zugleich, profitiert die Domplatte von ihrer Lage: Direkt an der Kathedrale und somit mitten im Geschehen. Für Frank Lambertin vom Fotoladen steht ohnehin schon lange fest: "Für einen echten Kölner ist die Domplatte immer ein Lieblingsplatz." Und dieser Liebe können weder Zugluft noch Schandflecken etwas antun.