Ein wandlungsfähiges Raubein
26. Juni 2016Götz George starb nach kurzer Krankheit am 19. Juni 2016, wie seine Agentin am späten Sonntagabend in Berlin bekannt gab. "Götz George hat sich eine Verabschiedung im engsten Kreis gewünscht", hieß es in der Mitteilung. Von weiteren Nachfragen solle aus Rücksicht auf die Privatsphäre der Familie abgesehen werden. Nach Informationen der "Bild"-Zeitung wurde George bereits in Hamburg im engsten Kreis seiner Familie beigesetzt.
Das Raubein
Der bekannte Schauspieler musste am eigenen Leibe erfahren, wie schwer es ist, in Deutschland ein Star zu sein. Die Deutschen sind mit ihren Berühmtheiten oft nicht sonderlich pfleglich umgegangen. Zu großer Ruhm wurde schnell verdächtig, auf Erhöhung folgte schnell die Erniedrigung.
Vielleicht legte sich George, der über fünf Jahrzehnte zu den wichtigsten und besten deutschen Darstellern gehörte, deshalb ein so dickes Fell zu. Vielleicht war er deshalb in der Öffentlichkeit so oft ein Raubein, das durchaus Ãhnlichkeit mit seiner berühmtesten Figur hatte - mit Schimanski.
Geboren wurde Götz George am 23. Juli 1938 in Berlin. Sein Vater war einer der größten deutschen Theater- und Filmschauspieler - Heinrich George, der seinen Sohn nach dem Lieblingsschauspiel Goethes "Götz von Berlichingen" benannt haben soll.
Götz ist älter geworden als sein Vater, der 1946 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft starb. Der frühe Tod des Vaters war eine Wunde, über die der Sohn nur selten sprach - aber der Verdacht liegt nahe, dass die ungeheure Energie, die Wucht, mit der Götz George sein Handwerk betrieb, auch immer dem Vater gewidmet war.
Götz George debütierte 1953 an der Seite von Romy Schneider in dem Kassenschlager "Wenn der weiße Flieder wieder blüht". Von 1955 bis 1958 studierte er am UFA-Nachwuchsstudio Berlin, bis 1963 spielte am Göttinger Theater unter Heinz Hilpert, einermseiner wichtigsten Lehrer.
In den 60er Jahren eroberte sich George die deutsche Kinoleinwand - als zorniger junger Mann in anspruchsvollen, zeitkritischen Produktionen wie "Herrenpartie", aber auch in spannender Unterhaltungsware wie den Karl-May-Verfilmungen. Die Krise des deutschen Kinos brachte ihn zum Fernsehen und zur Krimireihe "Tatort", wo sein wunderbar prolliger Ruhrpott-Kommissar Schimanski zum Quotenkönig wurde.
Die Schimanski-Jahre
Mit diesem Kommissar aus dem Ruhrgebiet, den er unzählige Male im Fernsehen spielte, ist George verschmolzen: ein direkter, zupackender Kerl, einer, der in der Eckkneipe ermittelt, der seine Sympathien für die kleinen Leute nicht verstecken muss, weil er selbst einer von ihnen ist. "Kerle oder Männer müssen sich auszeichnen durch die Attitüden - mit Ehrlichkeit und Zivilcourage, was eben dazu gehört", sagte George einmal.
Mit seinem Schimanski schuf er einen völlig neuen Typus des Krimihelden und bestimmte wie nebenbei auch den Begriff "ein ganzer Kerl" neu. Der Parka, den "Schimmi" stets trug, hat längst einen Ehrenplatz im Berliner Filmmuseum. Dort kann man auch den Reisepass des Kommissars bewundern und Fanpost, die - in vollkommener Verschmelzung von Darsteller und Figur - an "Götz Schimanski" adressiert war.
Komödien- und Charakterdarsteller
In den Neunzigern glänzte George nicht nur in den deutschen Erfolgskomödien "Schtonk!" und "Rossini", er bewies auch immer mehr Wagemut. 1995 erhielt er bei den Filmfestspielen in Venedig den Preis als bester Darsteller für sein überragendes Spiel in dem Film "Der Totmacher" - einem kühnen und strengen Kammerspiel. George ist darin Fritz Haarmann, der Massenmörder der 20er Jahre.
In "Der Totmacher" zeigte George das ganze Instrumentarium seiner großen Gestaltungskunst. Und immer betonte er, wie wichtig das professionell erlernte Handwerk für ihn war: "Weil es immer über die Technik geht. Es geht immer ums Licht, jetzt bist du aus dem Licht raus, hier musst du dich ein bisschen drehen. Ob ich nun eine Liebesszene im Bett spiele - es ist immer nur harte professionelle Arbeit."
Scheitern und Neustart
Georges Ehrgeiz war nicht immer sein bester Berater. Er hat sich mit manchen Projekten verrannt, ließ sich wohl auch nicht immer günstig beraten. So scheiterte er 1999 mit dem ambitionierten, von ihm auch als Geldgeber beförderten Versuch, den KZ-Arzt Mengele auf die Leinwand zu bringen.
Der Film "Nichts als die Wahrheit", großspurig als Tabu-Bruch angekündigt, presste das Monströse in die konventionelle Form eines Hollywood-Gerichtsfilms, und George wurde mit Altersmaske zur schrägen Comicfigur.
Auch die Komödie "Zettl" von Helmut Dietl, in der George an der Seite von Michael "Bully" Herbig den todkranken Bundeskanzler spielte, gehörte nicht zu den Projekten, die Georges Ruhm begründen.
George als George
Auch mit über 70 spielte George regelmäßig in großen Produktionen und Fernsehfilmen mit. 2012 ließ er sich vom Autor und Regisseur Joachim Lang überzeugen, in dem ARD/ARTE-Fernsehfilm "George" seinen eigenen Vater, den großen Schauspieler Heinrich George, zu spielen.
Wenn George als Mörder Haarmann nüchtern die Schwierigkeiten schildert, seine Opfer sachgerecht zu zerlegen, dann sehen wir die Bestie Mensch deutlicher als in vielen Leinwand-Gewaltorgien. George hat sich diese Leistung teuer erkauft. Die massige Gestalt des Götz George als "Totmacher" hinterlässt einen Eindruck, der uns noch in unsere Träume zu verfolgen vermag. Das Grauen – es hat vielleicht wirklich keinen Namen. Aber es hat ein Gesicht. Mit Figuren wie diesen hat sich Götz George in die deutsche Filmgeschichte eingeschrieben. Vor zwei Jahren hatte er erklärt, er wolle sich nach 65 Arbeitsjahren aus dem Schauspielgeschäft weitestgehend zurückziehen.
2014 wurde Götz George mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Im Juli wäre George 78 Jahre alt geworden. George hinterlässt seine Ehefrau Marika Ullrich und eine Tochter. Neben seiner schauspielerischen Tätigkeit engagierte er sich in den letzten Jahren für die Deutsche Krebshilfe und die Opferschutz-Organisation "Weißer Ring".