Eine Chance für den Frieden in Kaschmir?
24. Mai 2004Am Sonntag (23.5.2004) wurde in Kaschmir ein Reisebus, besetzt mit Soldaten und deren Angehörigen auf dem Weg in den Urlaub, von einer Landmine zerfetzt. 33 Insassen wurden bei dem Attentat getötet, 15 weitere verletzt. Inzwischen hat sich die moslemische Separatistengruppe, "Hizbul Mujahideen", zu dem Anschlag bekannt.
Das blutigste Attentat seit der Aufnahme von Friedensgesprächen zwischen Indien und Pakistan wirft ein grelles Schlaglicht auf eine der Hauptaufgaben, denen sich die neue indische Regierung zu stellen hat: Den Annäherungsprozess mit Pakistan im Konflikt um die umstrittene Provinz Kaschmir voranzutreiben.
Höchste Priorität
Das Attentat geschah am Tag nach der Vereidigung des neuen indischen Ministerpräsidenten Manmohan Singh, der allgemein als Hoffnungsträger für den Frieden angesehen wird. Singh hatte dem Friedensprozess mit Pakistan neben ökonomischen Reformen und dem Kampf gegen die Armut "höchste Priorität" eingeräumt. Er sicherte zu, keine weitere Gewalt in Kaschmir dulden zu wollen. "Systematisch und nachhaltig" würde die Verbesserung der Beziehungen mit dem Nachbarland Pakistan weiterverfolgt. Der pakistanische Staatschef Pervez Musharraf reagierte daraufhin mit einer Glückwunschbotschaft an Singh. Pakistan sei bereit, "eine gerechte und friedliche Lösung aller offenen Fragen, einschließlich Jammus und Kaschmirs, zu finden", heißt es in dem Schreiben.
Im mehrheitlich von Muslimen bewohnten indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir sind durch Terror und Gegenterror seit 1989 Schätzungen zufolge achtzigtausend Menschen umgekommen. Die Positionen der vielen Gruppierungen innerhalb Kaschmirs reichen von Forderungen nach mehr Autonomie, über ein unabhängiges Kaschmir bis hin zu dem Wunsch nach einem Anschluss an Pakistan. Diese Forderung wird meist von den islamistischen, vom pakistanischen Teil Kaschmirs aus operierenden Untergrundorganisationen vertreten.
Abkehr von der Politik der Stärke
Allein im letzten Jahr starben in dem bürgerkriegsähnlichen Konflikt dreitausend Menschen - obwohl beide Seiten seit einiger Zeit zumindest ihre Absicht betonten, den Konflikt lösen zu wollen. Schon Singhs Vorgänger Atal Behari Vajpayee hatte im letzten Jahr seiner Amtszeit nach einer friedlichen Lösung für den Grenzkonflikt in Kaschmir gesucht. Vajpayees Partei, die hindu-nationalistische BJP, hatte in den Jahren zuvor mit dem Programm der außenpolitischen Stärke gegenüber Pakistan und der betont kompromisslosen Haltung gegenüber den Separatisten in Kaschmir erheblich zum Aufflammen des Konfliktes um die umstrittene Grenzregion im Nordwesten Indiens beigetragen.
Für Singh, dem ersten Nicht-Hindu als Premierminister in der Geschichte Indiens, ist der Ausgleich Programm. Er betont den säkularen Charakter seiner Koalitionsregierung. Da auch Pakistans Machthaber Musharraf auf amerikanischen Druck den militanten Islamisten offiziell die Unterstützung entzog, hat ein Friedensprozess in Kaschmir so gute Chancen wie seit vielen Jahren nicht mehr - zumindest möchte anscheinend nunmehr keine der Konfliktparteien Indien und Pakistan mehr mit dem Konflikt Politik machen.
"Folter, Tod und Vergewaltigung"
Die "Hizbul Mujaheddin" begründete den jüngsten Anschlag als Rache für die Ermordung von zwei ihrer Kommandeure Anfang Mai. Der Polizei- und Militäreinsatz Indiens in Kaschmir steht schon seit langem bei unabhängigen Menschenrechtsorganisationen in der Kritik. Die indischen Maßnahmen legitimieren sich durch das "POTA-Gesetz" (Prevention of Terrorism Act), das den Sicherheitskräften Handlungsfreiheit verschaffen soll. Diese wird im Kaschmir aber exzessiv ausgelegt, wie beispielsweise Amnesty International wiederholt öffentlich gemacht hat. "Das POTA-Gesetz bedeute in Kaschmir "Folter, Verschwinden Unschuldiger, Tod in Gefängnissen, Vergewaltigung und Massenvergewaltigung", wie die indische Schriftstellerin Arundhati Roy ("Der Gott der kleinen Dinge") Anfang Mai in ihrem viel beachteten Essay "Wie tief müssen wir graben" schrieb. Von einer Beilegung der separatistischen Bewegungen könne unter diesen Vorraussetzungen gar keine Rede sein. Viele Widerstandsbewegungen im Kaschmir, aber auch im Nordosten des Landes oder in West-Bengalen seien davon überzeugt, dass gegenüber einem "zunehmend gewalttätigen Staat" nur Gewalt weiterhelfen könnte. (sams)