Eine Frage von Stunden
25. Juni 2015Die Stimmung in Brüssel schwankt zwischen Verzweiflung, Zynismus und neuer Hoffnung. Eine ständige Abfolge von Sondergipfeln und Finanzministertreffen innerhalb weniger Tage hat die Nerven aufgerieben. Jubelrufe, man stehe kurz vor einer Einigung, werden regelmäßig von Gegenmeldungen erstickt, dann geht es von vorn los. Keiner in Brüssel kann Floskeln wie "letzte Chance", "fünf vor zwölf", "Abgrund" mehr hören, und doch ist es so. Denn wenn nichts geschieht, ist Griechenland spätestens Anfang kommender Woche pleite, dem Land droht dann der Austritt aus der Währungsunion.
Der Gipfel will das Thema vom Hals haben
Der reguläre Gipfel will sich eigentlich nicht mehr mit dem Griechenland-Thema beschäftigen. Die Staats- und Regierungschefs haben genug mit Flüchtlingsfragen, dem Konflikt mit Russland oder dem Kampf gegen den "Islamischen Staat" zu tun. Ein weiterer Sondergipfel nur der Staaten der Eurozone innerhalb des normalen Gipfels wäre denkbar. Doch am Freitag wollen die Staats- und Regierungschefs wieder nach Hause fahren, dann ist eigentlich Schluss. Am 30. Juni, kommenden Dienstag, läuft das bestehende Hilfspaket aus. Daraus könnte Athen noch gut sieben Milliarden Euro bekommen - wenn es sich mit den Gläubigern einigt. Am selben Tag muss Griechenland dem IWF rund 1,6 Milliarden Euro zurückzahlen, wozu das Land aber nicht in der Lage ist. Selbst wenn man jetzt in allen Punkten übereinkäme, wäre die Zeit für alle formalen Abläufe äußerst knapp. Das griechische Parlament muss zum Beispiel zustimmen, und es ist fraglich, ob Tsipras eine eigene Mehrheit dafür zustandebrächte. Immerhin ist er gewählt worden, um die verhasste Sparpolitik zu beenden. Stürzt aber die griechische Regierung darüber, droht erst recht politisches Durcheinander.
"Ständig neue griechische Wünsche"
Und selbst bei einer Einigung stellt sich die Frage, was danach kommt: eine Verlängerung des bestehenden Hilfspakets, zum Beispiel bis Ende des Jahres, ein drittes Paket, ein Schuldenschnitt? Es wäre sehr fraglich, ob die Parlamente in den EU-Staaten das mitmachen, nachdem Tsipras und seine Leute bisher nicht nur nicht geliefert, sondern die Geldgeber sogar beschimpft haben. Der österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling schnaubte in Brüssel vor Journalisten, er und seine Kollegen kämen immer wieder umsonst zusammen, nur um sich "ständig neue Wünsche" der griechischen Seite anzuhören, die auch in der Nacht "jede Art von Kompromiss abgelehnt" habe. "Es kann ja nicht so sein, dass wir täglich hier zusammenkommen, um uns hier unter Druck setzen zu lassen." Diesen Eindruck haben viele, auch wenn das nicht jeder so deutlich sagt. Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble sah ebenfalls "eher eine größere Differenz als eine Annäherung", die griechische Regierung habe sich mit ihren Vorschlägen sogar "eher rückwärts bewegt".
Erlahmender Wille, steiniger Weg
Zuletzt lagen zwei konkurrierende Papiere auf dem Tisch, eines der Gläubigerinstitutionen und eines der griechischen Regierung, die inhaltlich noch viel zu weit auseinanderliegen. EU-Währungskommissar Pierre Moscovici hatte am Morgen einen optimistischen Satz getweetet, den er möglicherweise von Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgegriffen hatte: "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg." Merkel hatte ihn zweimal kurz hintereinander gesagt, erst, als es um den Verbleib Großbritanniens in der EU ging, dann in einer Regierungserklärung zu Griechenland. In beiden Fällen aber geht es um den Zusammenhalt der EU, der nun arg strapaziert ist. Was Griechenland betrifft, so scheint jedenfalls der Wille bei den Gläubigern langsam zu erlahmen.