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PolitikNahost

Eine 'NATO' für Nahost?

Kersten Knipp | Cathrin Schaer
30. Juni 2022

Die Zeichen mehren sich, dass mehrere arabische Staaten, Israel und die USA ihre Verteidigungsbemühungen gegen den Iran in der Region koordinieren. Könnte daraus ein reguläres Verteidigungsbündnis entstehen?

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Flugzeuge beim Formationsflug auf der World Defense Show in Riad, März 2022
Verteidigungsbereit: Formationsflug auf der "World Defense Show" in Riad, März 2022Bild: Wang Haizhou/Xinhua/picture alliance

Könnte es sein, dass die Welt bald ein militärisches Verteidigungsbündnis mehr hat? Das deuten zumindest Medienberichte an, die sich seit einigen Wochen um ein Projekt mehrerer Staaten im Nahen Osten zur gemeinsamen Luftverteidigung gegen den Iranranken. Potentielle Partner sind demnach Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Jordanien und Ägypten. Aber auch Israel gehört offenbar zu dem Verbund. Der Name des Bündnisses: Middle East Air Defense Alliance (MEAD).

Eine wesentliche Rolle bei den Gesprächen spielen Medienberichten zufolge die USA. Dort herrscht offenbar eine über die Parteigrenzen hinweggehende Zustimmung zu dem Projekt. Das Strategie- und Technologiemagazin "Breaking Defense" berichtet, sowohl führende Repräsentanten der Demokratischen wie auch der Republikanischen Partei sprächen sich für das Bündnis aus.

US-Außenpolitiker aus beiden Parteien sehen in dem Projekt offenbar auch eine Chance, die Bande zwischen Israel und denjenigen arabischen Staaten, die mit Israel offen oder verdeckt kooperieren,  zu vertiefen. Auf Anfrage von "Breaking Defense" erklärte ein Sprecher des Weißen Hauses, die USA würden Israels Integration in die breitere Nahostregion "nachdrücklich unterstützen". Das Bündnis werde ein Thema beim Besuch des US-Präsidenten Mitte Juli in Israel sein.

Die Voraussetzungen zu einer vertieften Integration in der Region scheinen günstig: So haben die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain 2020 Normalisierungsabkommen, die so genannten Abraham-Vereinbarungen, mit Israel geschlossen - ein Jahr später folgten Marokko und der Sudan. Friedensverträge - wenngleich der Frieden oft als "kalt" beschrieben wurde - gibt es zwischen Israel und Ägypten bereits seit 1979 und mit Jordanien seit 1994.  Zu einem militärischen Bündnis oder einer Zusammenarbeit in Verteidigungsangelegenheiten hatten sich bislang allerdings weder die arabischen Staaten noch Israel entschließen können.

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Gemeinsame Verteidigung gegen Iran?

Doch offenbar hat hinter den Kulissen inzwischen zumindest eine Art militärische Koordination begonnen. So berichtete das "Wall Street Journal" dieser Tage über ein geheimes Treffen von Top-Diplomaten aus den USA, Israel und den genannten arabischen Staaten im März in Scharm el-Scheich, wo sie gemeinsame Verteidigungsmaßnahmen gegenüber dem Iran erörtert hätten. Der Iran und seine regionalen Verbündeten stellen aus Sicht Israels, aber auch mehrerer arabischer Länder die größte Herausforderung für die Sicherheit in der Region dar. 

Ende vergangener Woche erklärte dann auch der jordanische König Abdullah II. seine Unterstützung für die Gründung einer militärischen Verteidigungs-Allianz aus einer Reihe "gleichgesinnter Länder" in der Region. "Ich wäre einer der ersten, der eine NATO für den Nahen Osten befürworten würde", erklärte der Monarch gegenüber dem US-Sender CNBC. Der Zweck und die Rolle eines solchen Militärbündnisses müssten aber sehr genau definiert sein, betonte er.

Für Aufsehen hatte wenige Tage zuvor bereits eine Bemerkung des israelischen Verteidigungsministers Benny Gantz gesorgt. Er erklärte, Israel sei einer so genannten "Middle East Air Defense Alliance" (MEAD) beigetreten. "Das Programm ist bereits in Betrieb und hat es ermöglicht, iranische Angriffsversuche auf Israel und andere Länder erfolgreich abzuwehren", sagte Gantz laut Medienberichten. "Breaking Defense" zitiert einen namentlich nicht genannten Beamten des israelischen Verteidigungsministeriums. Dieser deutete an, das zuvor noch unbekannte Verteidigungsbündnis habe im vergangenen Jahr bereits einen Beitrag zum Abschuss iranischer Drohnen durch zwei israelische F-35-Kampfflugzeuge geleistet. Für die Operation griff Israel demnach auf Daten zurück, die außerhalb seines Territoriums gesammelt wurden.

Das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome fängt eine Rakete ab
Israels Raketenabwehrsystem Iron Dome fängt eine Rakete aus dem Gazastreifen ab, April 2022. Auch die in Gaza herrschende Hamas erhält Unterstützung aus dem IranBild: Ahmed Zakot/SOPA/ZUMA/picture alliance

Grenzen des Projekts

Unklar ist derzeit allerdings, wie weit die Absprachen zu der Allianz gediehen sind und wie eng sich die möglichen Partner in Zukunft zusammenschließen wollen. In Teilen erscheine das Projekt durchaus realistisch, sagt Cinzia Bianco, Expertin für die arabischen Golfstaaten beim Think Tank "European Council on Foreign Relations" (ECFR). Dafür spreche gerade der Umstand, dass die Pläne zum Aufbau von MEAD sich zunächst auf ein vergleichsweise konkretes Thema, die technische Zusammenarbeit bei der Luftverteidigung, konzentrierten.

Erörtert würden etwa Fragen zur Synchronisierung von Radargeräten sowie die Entwicklung eines Kommunikationssystems zur gemeinsamen Frühwarnung. "In diesem speziellen Bereich gibt es keine allzu großen Kontroversen oder Meinungsverschiedenheiten", so Bianco im DW-Gespräch. Sensible Fragen wie etwa der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedern der potentiellen Allianz hingegen würden derzeit noch nicht erörtert.

Dass MEAD, wie vom jordanischen König vorgeschlagen, zu einem großen, eng abgestimmten Verteidigungsbündnis mit gegenseitigen Beistandsgarantien nach Vorbild der NATO werden könnte, hält Bianco hingegen einstweilen für unwahrscheinlich. "Dazu sind zumindest derzeit die Wahrnehmungen der jeweiligen Bedrohungsszenarien wie auch das gegenseitige politische Misstrauen zu groß." Hinzu kommt: Staaten wie Saudi-Arabien und Oman kooperieren zwar informell zunehmend mit Israel, haben aber bisher keine offiziellen Beziehungen aufgenommen. Innenpolitisch hätte eine weitergehende Annäherung an Israel wohl auch viele Kritiker und Gegner.

Ähnlich sieht es die Verteidigungsexpertin Becca Wasser vom "Center for New American Security" (CNAS) in Washington. Die in Frage stehenden arabischen Staaten seien offenbar zwar bereit, ganz neue Schritte zu gehen, wie etwa die Einbindung Israels zeige. "Aber von einer arabischen NATO zu sprechen, scheint mir doch überzogen", so Wasser gegenüber der DW.

Brennende Ölanlage in Saudi-Arabien nach einem Angriff der mit dem Iran verbündeten jemenitischen Huthi-Rebellen, März 2022
Brennende Ölanlage in Saudi-Arabien nach einem Angriff der jemenitischen Huthi-Rebellen, die als Verbündete des Iran gelten, März 2022Bild: AA/picture alliance

Wie reagiert Teheran?

Offen ist, wie der Iran auf das Bündnis reagieren wird. Im Mai hatte das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI eine Studie veröffentlicht, der zufolge das Land bereits im vergangenen Jahr massiv in seine Rüstung investiert hat. Demnach sind die entsprechenden Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr um elf Prozent gestiegen. "Der Iran geht offensichtlich von einem 'Worst-Case-Szenario' aus, also bewaffneten Auseinandersetzungen", kommentierte im vergangenen Mai die Politologin Sara Bazoobandi vom "German Institut for Global and Area Studies" (GIGA) die Investitionen. Im Jemen etwa ist der Iran in eine seit Jahren anhaltende indirekte kriegerische Auseinandersetzung mit Saudi-Arabien verwickelt. Diese mündete vor kurzem immerhin in eine Waffenruhe.

Es sei durchaus möglich, dass der Iran seine eigene Sicherheit durch das neue Bündnis zusätzlich bedroht sehe, sagt CNAS-Expertin Wasser. Sie sieht aber derzeit nicht die Gefahr eines direkten militärisches Konflikts, auch deshalb nicht, weil sie bezweifelt, dass die beteiligten Staaten sich wirklich auf eine verbindliche gemeinsame Linie einigen könnten. "Eine echte Allianz oder einen echten Verteidigungspakt wird es ja wahrscheinlich gar nicht geben", meint sie.  

Viele Menschen im Iran sind desillusioniert

Mitarbeit: Emad Hassan

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika