Die Zukunft der EU
24. August 2008Klimawandel ist ein Problem, das die jüngeren Generationen (besonders in Europa) persönlich wie politisch sehr ernst nehmen. Zwar ist die Klimaveränderung zunächst und vor allem eine schreckliche Gefahr für die Menschheit, sie eröffnet aber auch eine wunderbare Chance, die Politik in kollektiveres Handeln zu verwandeln. Die EU verdient sicherlich ein Lob für ihre wegweisenden Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel; dort könnte sie weltweit eine Führungsrolle übernehmen, hat sie doch die Möglichkeit, einen Paradigmenwechsel in der Globalpolitik zu bewirken.
Aber die Situation weckt auch große Erwartungen: Die Welt erhofft sich von Europa Fortschritte des kosmopolitischen Projekts und den Beweis, dass es möglich ist, die Kohlenstoffemissionen zu verringern, ohne deshalb Sozialleistungen oder Wirtschaftswachstum zu verringern.
Kosmopolitische Realpolitik
Zum ersten Mal in der Geschichte lebt jede Bevölkerung, jede Kultur, jede ethnische Gruppe und jede Religion der Welt in der gemeinsamen Gegenwart einer Zukunft, die alle gemeinsam bedroht. Mit anderen Worten: Wenn wir überleben wollen, müssen wir jene einbeziehen, die bislang ausgeschlossen waren. Die Politik des Klimawandels ist zwangsläufig inklusiv und global – sie ist, wie ich es nennen möchte, kosmo-politische Realpolitik.
Denn der Klimawandel zwingt uns zu der Einsicht, dass wir uns, wenn wir Gleichheit und Fairness wirksam kontrollieren wollen, die Sichtweisen "der Anderen", das heißt, der armen Länder, zueigen machen müssen, die einerseits am stärksten unter dem Klimawandel zu leiden haben werden und andererseits am wenigsten zur potenziellen Klimakatastrophe beitragen.
Europa und die Weltrisikogesellschaft
Daher sollte Europa deutlich machen, dass das Ungleichheitsproblem sehr viel allgemeiner angegangen werden muss als in dem irreführend engen, auf BSP oder "Pro-Kopf-Einkommens" fokussierten Rahmen, in den es gewöhnlich gezwängt wird. Und es muss sich auf die fatale Anziehung zwischen Armut, sozialer Verwundbarkeit, Korruption, Erniedrigung, Gefahrenakkumulation und Verlust der Würde konzentrieren – diese einstellungs- und verhaltensprägenden, Gruppengrenzen auflösenden Faktoren, die in der Weltrisikogesellschaft rasch an Bedeutung gewinnen.
Nur wenn wir die betroffenen Menschen in unsere Entscheidungsfindung einbeziehen, werden wir in der Lage sein, uns wirksam vor den Folgen der Klimaveränderungen zu schützen. In dieser Hinsicht könnte das Problem der globalen Erwärmung einen Wechsel des zentralen Politikparadigmas bewirken, wodurch Kosmopolitismus zu Realpolitik und Nationalismus beziehungsweise nationale Politik zu rückwärtsgewandtem Idealismus würden.
Der Klimawandel legitimiert mehr als irgendein anderes globales Problem die Suche nach einem regelbasierten System internationaler Politik und bietet die Chance, Ansätze zur Wahrung von Sicherheit und globalen öffentlichen Gütern zu finden. Wir müssen begreifen, dass die angstvoll antizipierten Risiken – Klimawandel etwa oder Finanzkatastrophen - global sind und dass wir zur Bewältigung dieser Probleme deshalb ein kosmopolitisches System der Kontrolle und Teilhabe brauchen.
Modell und Mission für die jüngere Generation
Europa hat die Chance hat, ein Paradigma zu entwickeln, das zeigt, wie sich das Problem des Klimawandels und andere globale Gefahren durch eine zwischenstaatlichen Kooperation angehen lassen, die die nationalen Identitäten und Souveränitäten bereichert, indem es sie für die kosmopolitische Realpolitik gewinnt. In diesem Sinne könnte Europa als Modell und Mission eine starke Motivationskraft vor allem für die jüngere Generation entwickeln und den nichteuropäischen Nationen gleichzeitig die verlockende Möglichkeit einer neuen Aufklärung für unsere heutige wortlose Weltgesellschaft vor Augen führen.
Prof. Dr. Ulrich Beck lehrt Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der London School of Economics and Political Science. In seinen Publikationen beschäftigt er sich intensiv mit den Möglichkeiten der europäischen Integration.