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Eine persönliche Reise

Nadine Wojcik11. Juni 2012

Ihre Großeltern überlebten den Holocaust. Heute arbeitet Yael Dinur als Freiwillige in der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz bei Berlin. Ausgerechnet hier wurde über die "Endlösung der Juden" beraten.

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Für ein Jahr als Freiwillige im Haus der Wannseekonferenz: die Israelin Yael Dinur (Foto: DW)
Für ein Jahr als Freiwillige im Haus der Wannseekonferenz: die Israelin Yael DinurBild: DW/N.Wojcik

"Ich freue mich." Yael Dinur spricht erst seit sechs Monaten deutsch, möchte das Interview dennoch auf Deutsch führen. Das beherrscht sie schon erstaunlich gut. "Ich freue mich." Diesen Satz sagt sie immer wieder. Sie freut sich in Berlin zu sein, in einer Wohngemeinschaft mit Deutschen zu leben, und dass es im Stadtteil Neukölln Hummus zu kaufen gibt. Hinter diesem einfachen Satz und dem Bemühen um die fremde Sprache verbirgt sich eine umso anstrengendere, innere Reise einer jungen Frau aus Israel.

"Ich wollte nie etwas mit Deutschland oder mit Deutschen zu tun haben", sagt die 27-Jährige rückblickend. Yael, eine zierliche Frau mit langen, gelockten Haaren, sitzt im ersten Stock einer großbürgerlichen Villa, seit 1992 bekannt als Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz. Der Holocaust und die Erfahrungen ihrer Großeltern und Eltern haben Yael ihr ganzes Leben lang geprägt. Ihre Großmutter überlebte das Konzentrationslager Auschwitz, ihrem Großvater gelang eine unglaubliche Flucht: Er sprang von einem Zug mit Endstation Treblinka und konnte sich retten. Beide verloren ihre Ehepartner und Kinder durch den Holocaust - und gründeten nach diesen traumatischen Erfahrungen eine neue Familie. "Und ich bin das Resultat davon", sagt Yael Dinur bestimmt. Die Großeltern lernten sich nach dem Krieg in einem Auffanglager in Bergen-Belsen kennen, Yaels Vater wurde geboren, die neue Familie wanderte schließlich nach Israel aus.

Das Haus der Wannseekonferenz (Foto: DW)
Das Haus der WannseekonferenzBild: DW/N.Wojcik

Yael Dinur lässt dieses Familienschicksal nie los. Sie studiert Geschichte und arbeitet seit 2002 in Yad Vashem in Jerusalem, der bedeutendsten Gedenkstätte zur Erinnerung an die Judenvernichtung durch die Nationalsozialisten. Hier sieht sie immer wieder Reisegruppen von jungen Deutschen, doch den Kontakt meidet sie bewusst. "Nicht aus rationalen Gründen. Ich wusste ja, dass es nicht ihre Schuld ist - eher aus emotionalen." Es ist ein unbestimmtes Angst-Gefühl, das ihr eine nähere Begegnung verwehrt. "Ich lebte in einer Welt, von der ich wusste, dass schreckliche Dinge passiert waren. Aber ich hatte keine wirkliche Antwort darauf, warum." Auch deshalb ist sie jetzt in Deutschland, um zu verstehen, wie die junge Generation von Deutschen heute über den Holocaust denkt.

Eine Besuchergruppe im Haus der Wannseekonferenz (Foto: DW)
Eine Besuchergruppe im Haus der WannseekonferenzBild: DW/N.Wojcik

Aus der Sicht der Täter

Durch Zufall wird sie auf "Aktion Sühnezeichen" aufmerksam, einen Freiwilligendienst, der die Versöhnung mit denjenigen Ländern fördern möchte, die in besonderem Maße unter dem NS-Terror gelitten haben. Yael Dinur bewirbt sich und wählt für ihr Freiwilligenjahr kein Jugendzentrum oder Seniorenheim aus, sondern die Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz - ein besonders heikler Ort für eine Jüdin. Hier tagten 1942 die NS-Größen, um die Ermordung der Juden Europas zu beschließen und zu organisieren.

Eine schwere Entscheidung? Yael Dinur nickt energisch. "Ja. Und wie." Nach den ersten aufregenden Monaten der Eingewöhnung habe sich die ganze Vergangenheit auf ihre Schultern gelegt, erzählt sie. In Yael beginnt es zu arbeiten. Darf sie mit ihrer deutschen Mitbewohnerin befreundet sein? Ist es erlaubt, dass sie Deutsch spricht und den ganzen Tag die deutsche Sprache hört? Ist es in Ordnung, dass sie an einem Ort arbeitet, der ein Symbol für die bürokratisch geplante Judenvernichtung ist? "Es ist schwer, wirklich schwer. Aber mittlerweile geht es schon viel besser." Und wieder fällt ihr Satz: "Ich freue mich sogar darüber." Denn für Yael gibt es seit sie in Deutschland ist keine persönlichen Tabus mehr. Auch wenn das Familienschicksal durch ihren Freiwilligendienst in Berlin nicht leichter geworden ist, so ist ihr Blick nun doch differenzierter und versöhnlicher.

Im Haus der Wannseekonferenz betreut sie Reisegruppen aus Israel und leitet Führungen auf Hebräisch. Sie zeigt den Raum, in dem die NS-Funktionäre mit idyllischem Blick auf den Berliner Wannsee tagten und den systematischen Massenmord an Europas Juden, die von den Nazis so genannte "Endlösung der Judenfrage", planten. Diese Widersprüchlichkeit findet die junge Museumspädagogin spannend. Und den Blick auf das Thema ungewöhnlich. "In Yad Vashem zeigen wir den Holocaust aus der Sicht der Opfer. Hier behandele ich das Thema zum ersten Mal aus der Sicht der Täter. Das ist ganz neu für mich."

Jüdisches Leben der Gegenwart

Auch das vielfältige und vibrierende Berlin mache es ihr leichter: "Ich könnte in keiner anderen deutschen Stadt leben." Yael fasziniert, was auch viele andere Berlin-Reisende hierher zieht: das Kulturleben, die Atmosphäre, die Aufbruchstimmung, der Freiraum. Und was für Yael noch wichtiger ist: "Diese Stadt hat ein Gedächtnis. An jeder Ecke gibt es ein Denkmal. Vielleicht sind es auch schon zu viele. Aber für mich ist das wichtig. Diese Stadt vergisst nicht." Und manchmal denkt sie dann auch: "Es ist richtig, dass ich hier bin. Das ist ein kleiner Sieg für meine Familie."

Ein Dokument im Haus der Wannseekonferenz (Foto: DW)
Ein Dokument im Haus der WannseekonferenzBild: DW/N.Wojcik

Vor kurzem hat sie einige Freunde mit in eine Berliner Synagoge genommen - eine Premiere. "Juden haben sie im Endeffekt bis dahin nur mit dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebracht, also mit Tod und Verzweifelung. Und ich konnte ihnen das lebendige jüdische Leben in Berlin zeigen", sagt Yael Dinur - und freut sich.