Eine Unterschrift und ihre Folgen
20. Juni 2002Der Bundespräsident hat sich seine Entscheidung nicht leicht gemacht. Und er hat sich auch durch die vielfältigen Einmischungsversuche der Gegner des Zuwanderungsgesetzes nicht unter Druck setzen lassen. Johannes Rau hat vor seiner Unterschrift das Gesetz sorgfältig geprüft und seinen Entschluss anschließend ausführlich begründet. Zu Recht fordert das deutsche Staatsoberhaupt nun von allen Seiten Respekt für seine Haltung ein.
Man kann nur hoffen, dass ihm dieser Respekt auch noch in Wahlkampfzeiten gezollt wird. Ohnehin ist beim Thema Zuwanderung zuviel polemisiert und politisch inszeniert worden. Das hat beim Wahlvolk einen verheerenden Eindruck hinterlassen und das Vertrauen in die Politik sicherlich nachhaltig beschädigt. Es wäre daher höchste Zeit für eine Befriedung.
Wer nun weiter Zweifel am Zustandekommen des Gesetzes hegt, kann diese Zweifel vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen. Das ist fair und angemessen. Dieser Weg steht den unionsgeführten Ländern oder einzelnen Politikern offen, die seit langem gegen das rot-grüne Zuwanderungsgesetz Sturm laufen. Die Prüfung kann dauern, und sie wird daher das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2003 nicht verhindern.
Soweit die juristische und verfassungsrechtliche Seite. Für die politische Auseinandersetzung der nächsten Wochen ist nach den gemachten Erfahrungen allerdings Schlimmstes zu befürchten. Die Union wird das Thema Zuwanderung als Keule im Wahlkampf benutzen, und die Sachlichkeit dürfte ein weiteres Mal auf der Strecke bleiben.
CDU und CSU werden sich weiter einer - in Deutschland wie in Europa - dringend notwendigen modernen Migrationspolitik verweigern. Ausgerechnet die Parteien, die jahrelang eine völlig unkontrollierte Zuwanderung nach Deutschland zuließen, lehnen ein Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung ab. Das Gesetz, das durchaus seine Schwächen hat und ein Kompromiss ist, zeigt aber: Die Richtung stimmt.
Bei CDU und CSU war der politische Wille sichtlich nicht vorhanden, ein wichtiges Zukunftsthema zu gestalten. Und dies, obwohl die deutsche Wirtschaft, die Kirchen und die Verbände sich nachdrücklich für diese Zuwanderungsregelung ausgesprochen haben. CDU und CSU haben nicht erkannt, dass das Thema Migration - und auch Flucht - eines der großen und schwierigen Themen der kommenden Jahre sein wird. Sie wollen nicht wahrhaben, dass es sinnlos und verantwortungslos ist, auf eine Politik der Abschottung und Abgrenzung zu setzen.
Was zur Zeit zählt, sind Stimmungen. Sie sollen sich im großen Machtpoker vor der Bundestagswahl in Stimmen auszahlen. Man kann - vor allem im Sinne der Migranten - nur hoffen, dass diese Rechnung der CDU/CSU nicht aufgeht.