Eine neue Verfassung für Ägypten
17. Oktober 2013Die Übergangsregierung in Ägypten hat einen ehrgeizigen Zeitplan aufgestellt. Innerhalb weniger Monate sollen ein neues Parlament und ein neuer Präsident gewählt werden. Voraussetzung dafür ist eine neue Verfassung. Daran arbeitet ein Komitee mit 50 Mitgliedern, ein erster Entwurf soll in Kürze erscheinen. Übergangspräsident Adli Mansur, ehemaliger Vorsitzender des Obersten Verfassungsgerichtes, betonte wiederholt die besondere Bedeutung einer neuen rechtlichen Grundordnung.
Es ist das zweite Mal innerhalb nur eines Jahres, dass ein Gremium in Ägypten eine neue Verfassung erarbeitet. Nach ihrem Sieg in den ersten freien Wahlen 2012 bestimmte die islamistische Muslimbruderschaft ein Gremium, das das Grundgesetz der Ära Husni Mubarak ersetzen sollte. Doch die Mitglieder legten monatelang keinen Entwurf vor. Im November 2012 nahm schließlich der neu gewählte islamistische Präsident Mohammed Mursi die Zügel in die Hand. "Er hat sich über das Gesetz gestellt und die Verfassung im Schnelldurchlauf vom Verfassunggebenden Komitee verabschieden lassen", sagt Stephan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Die Verfassung war seither sicherlich ein ganz zentraler Streitpunkt zwischen Muslimbruderschaft und Opposition."
Nur noch zwei Islamisten im Verfassungskomitee
Als das Militär Anfang Juli 2013 Präsident Mursi stürzte, war auch die gerade erst verabschiedete Verfassung hinfällig. Zehn hochrangige Richter und Verfassungsexperten wurden beauftragt, erste Vorschläge für ein neues Grundgesetz zu erarbeiten. Darüber beraten seit Anfang September die Mitglieder des neuen Verfassunggebenden Komitees. In dem Gremium sitzen unter anderem Menschenrechtler, Jugendaktivisten, Politiker und zwei Vertreter des islamistischen Lagers. Somit sind zwar deutlich mehr gesellschaftliche Gruppierungen vertreten als 2012. Roll sieht die Zusammensetzung aber kritisch. "Es ist kein gewähltes, sondern ein ernanntes Komitee. Das ist aus Demokratie-Sicht problematisch."
Noch ist unklar, ob das Komitee eine überarbeitete Version der Verfassung von 2012 oder einen ganz neuen Text vorlegen wird. Es sind fast die gleichen Punkte umstritten wie ein Jahr zuvor. Björn Bentlage, Ägypten-Experte an der Universität Halle, sagt mit Blick auf die Diskussion im vergangenen Jahr: "Die großen symbolischen Themen wie Religion und Staat sowie die Rolle von Minderheiten wurden natürlich am meisten diskutiert. Das waren die großen Aufregerthemen." In Expertenkreisen sei es hingegen um technische Themen gegangen, die mit der Justiz oder der Rolle des Militärs zu tun hatten. Dies ist auch in der aktuellen Diskussion nicht anders. Allerdings wird dieses Mal kaum öffentlich gestritten.
Das Militär will seine Privilegien behalten
Die Muslimbrüder hatten 2012, wie auch in den Verfassungen zuvor, die Prinzipien der Scharia zur Grundlage der Gesetzgebung gemacht. Neu war allerdings, dass die Interpretation dieser Prinzipien nicht länger dem Verfassungsgericht, sondern den Gelehrten des Al-Azhar Islam-Instituts überlassen wurde. Kenner des Landes wie Stephan Roll und Björn Bentlage vermuten, dass dieser umstrittene Artikel mit islamistischer Handschrift in der neuen Verfassung nicht mehr auftauchen wird. Stattdessen werden die Artikel zu den Bürger- und Grundrechten wie der Versammlungs- und Redefreiheit ihrer Einschätzung nach bestehen bleiben.
Entscheidend für die demokratische Entwicklung in Ägypten wird die zukünftige Rolle der Justiz sein. Das damalige Verfassungskomitee unter Mursi hatte zwar die Unabhängigkeit der Justiz in einigen Punkten gestärkt. Entsprechende Passagen in der Verfassung konnten allerdings mit Gesetzen ausgehöhlt werden. "Das Spannendste aber wird sein, wie die Rolle des Militärs und vor allem dessen Vorrechte in der neuen Verfassung ausgestaltet werden", sagt Bentlage. Bisher ist das Militär nicht bereit, auf Privilegien zu verzichten. Es will seine Autonomie behalten, weiterhin den Verteidigungsminister benennen und sein Budget nicht vollständig offenlegen. Außerdem sollen alle das Militär betreffenden Vergehen vor einem Militärgericht verhandelt werden. Dies betrifft nach Angaben von Bentlage auch Zivilisten, die in den weitverzweigten Wirtschaftsbetrieben des Militärs arbeiten.
Anfang November will das derzeitige Komitee seinen Verfassungsentwurf präsentieren. Anschließend sollen die Ägypter darüber abstimmen. SWP-Experte Roll warnt allerdings davor, zu große Erwartungen an das Dokument zu stellen. Es werde sich zunächst zeigen müssen, wie die Verfassungsrealität aussehe und wie die einzelnen Regelungen in der Gesetzgebung und der Rechtsprechung umgesetzt würden. "Wir haben dann erst einmal nur ein Blatt Papier. Selbst wenn wir jetzt eine liberalere Verfassung hätten, hieße das noch lange nicht, dass Ägypten dadurch demokratischer geworden ist."