Neue DW-Beethoven-Dokumentation startet
15. September 2020Eine Welt ohne Beethoven? Für die DW-Moderatorin Sarah Willis ist das unvorstellbar. Allein schon, weil Beethoven so fantastische Soli für Horn geschrieben hat, wie sie sagt. Sarah Willis ist hauptberuflich Hornistin bei den Berliner Philharmonikern. Sie hat sich auf den Weg gemacht, um internationale Musiker, Manager, Komponisten und Experten zu fragen, was der musikalischen Welt heute fehlen würde, hätte es den innovativen Komponisten Ludwig van Beethoven nicht gegeben.
Der DW-Film "Eine Welt ohne Beethoven?" beleuchtet in sieben Kapiteln, welchen Einfluss Beethoven auf das Konzertwesen, auf Musiker, ja sogar auf ganze Genres der populären Musik hat. Er ist der letzte Teil einer Beethoven-Trilogie zu Beethovens 250. Geburtstag. Dazu gehören auch die DW-Filme "Beethovens Neunte - Symphonie für die Welt" und "Beethoven - Der Klang der Natur".
In allen drei Dokumentationen geht es um musikalische Spuren, die Beethoven weit über Europa hinaus in der Welt hinterlassen hat. "Eine Welt ohne Beethoven?" will den berühmten klassischen Komponisten von seiner innovativen Seite zeigen: ein Komponist, der die Grenzen der Musik sprengte und sich kritisch mit der Gesellschaft seiner Zeit auseinandersetzte.
Beethoven, der Innovator
Die Idee zum Film hatte DW-Regisseur Martin Roddewig. "Es ist ja ein Allgemeinplatz, dass man sagt: 'Beethoven war ein Innovator und hat die Welt verändert.' Ich wollte sehen, was heute davon noch da ist, welchen Einfluss er auch heute noch hat." Bei dieser Frage würde man oft nur klassische Musiker befragen, die Beethoven natürlich bewusst im Repertoire hätten. "Ich wollte Musiker befragen, die aus aktuellen Musikrichtungen kommen - wie Jazz, Pop-, Rock-, oder Filmmusik." Roddewigs Film beschreibt keine Welt ohne Beethoven, sondern erzählt, warum er so wichtig war für nachfolgende Generationen.
Unterstützt wurde das Filmprojekt von der Jubiläumsgesellschaft BTHVN 2020 mit Fördergeldern aus dem Bundesministerium über die Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Der erste Teil der 90-minütigen Dokumentation ist am 16. September auf DW TV zu sehen, Teil zwei folgt am 23. September. Ab dem 16.9 steht der Film außerdem in voller Länge beim Streamingdienst Amazon Prime zur Verfügung.
Hier der Link zu den Sendezeiten bei DW TV
Beethoven und die Rockmusik
Rockige prägnante Gitarrenriffs, die ins Ohr gehen, würde man vielleicht nicht gerade mit Beethoven assoziieren, und dennoch hat Sarah Willis gerade bei Rockgrößen der 60er und 70er Jahre die Verbindung zu Beethoven gesucht und gefunden. Es ist scheinbar eine ganz einfache Idee, die auf vier Tönen beruht und bis heute begeistert: das Eingangsmotiv von Beethovens 5. Sinfonie.
Viele bekannte Bands sind mit nur drei bis fünf Tönen in ihren markanten Gitarrenriffs berühmt geworden, auch wenn dabei nicht alle unbedingt an die Nähe zu Beethoven gedacht haben. Für Ian Anderson von der Band Jethro Tull gehen diese Riffs ganz klar auf Beethovens Konto. Für den Hit "Locomotive Breath" braucht auch Anderson nur vier Töne. "Ich denke, würde Beethoven heute leben, dann wäre er der Typ, der sich mit dem Geländemotorrad im Schlamm richtig dreckig macht. So stelle ich mir Beethoven vor."
Auch für Rudolf Schenker, Gitarrist bei den Scorpions, steht fest, dass Beethovens Motiv die Mutter aller Rockriffs ist, zumindest in Europa. Die Gitarrenriffs mit Melodie, die Schenker für die Band geschrieben hat, haben die Scorpions weltbekannt gemacht. "Wir sind durch die Klassik so geformt, dass wir auf eine Melodie und einen gewissen Rhythmus ausgeprägt sind. Die Klassik ist in unseren Genen", sagt er im Film und lässt sich von Sarah Willis zu einer kleinen Jam-Session mit Horn und Gitarre verleiten.
Auf den Spuren Beethovens
Beethoven hat viele Attribute: Beethoven, der Revolutionär, der mit seinen Sinfonien neue Maßstäbe setzte; Beethoven, der Wegbereiter der Romantik, Beethoven als Vorläufer der Konzeptalben in der Popmusik mit seinem Liederzyklus "An die ferne Geliebte" oder Beethoven als großer Meister der Improvisation. Sarah Willis findet überall Spuren von Beethoven, die bis in die Gegenwart reichen.
Zum Beispiel seine 9. Sinfonie: Sie ist als Europa-Hymne bis heute ein Symbol für Freiheit und Solidarität, auch wenn die Nationalsozialisten Beethovens bombastische Werke einst für ihre Zwecke missbrauchten.
Beethoven und der Jazz
Seine Zeitgenossen haben Beethoven nicht immer verstanden, besonders seine Spätwerke blieben vielen ein Rätsel. Ausufernde Klavierkaskaden, Synkopen und hüpfende punktierte Sechzehntel, das klingt nicht nach Klassik, sondern - nach Jazz. Man findet sie aber auch in Beethovens letzter Klaviersonate, Op. 111, auch "Boogie Woogie"-Sonate genannt.
Wynton Marsalis ist nicht nur ein berühmter Jazztrompeter und der künstlerische Direktor des "House of Jazz at Lincoln Center" in New York, sondern auch ein großer Beethoven-Fan. Im Lincoln-Center hat ihn Sarah Willis besucht. Marsalis liebt besonders Beethovens Streichquartett Opus 135 mit den Synkopen. "Beethoven versteht das rhythmische Verhältnis von drei Schlägen in einer Zweier-Umgebung. Das ist typisch für afrikanische Musik oder Musik aus dem Nahen Osten – da hat er das wahrscheinlich her, von der türkischen Musik."
Dass eine berühmte Jazz-Koryphäe mit ihr ausgerechnet über Beethovens späte Streichquartette reden wollte und die Melodien sogar mitsingen konnte, hat Sarah Willis beeindruckt. "Das war ein großes Geschenk bei diesem Projekt, dass man neben den Legenden sitzen und ihre Begeisterung teilen konnte", erzählt Willis von den Dreharbeiten. "Besonders das Glitzern in den Augen von Wynton Marsalis, wenn er über Beethoven spricht."
Was würde fehlen, wenn es Beethoven nicht gegeben hätte? Der vielfach preisgekrönte Jazztrompeter Wynton Marsalis ist sich nicht ganz so sicher. "Es gibt so vieles auf der Welt. Ich denke mir oft, wenn man irgendeinen Menschen, was auch immer er geleistet hat, aus der Welt herausnimmt, wäre die Welt immer noch in Ordnung. Es gibt viele Menschen, die noch nie von Beethoven gehört haben. Und ihr Leben ist auch nicht schlecht."