"Eine wirkliche Empathie gab es nicht"
29. Oktober 2012DW: Die Bundesrepublik hat sich, zumindest in ihren Anfangsjahren, mit zwei Dingen schwer getan: Der strafrechtlichen Aufarbeitung von NS-Verbrechen und der Entschädigung oder sogenannten "Wiedergutmachung" für die überlebenden Opfer. Wie war damals Anfang der 1950er Jahre denn das politische und gesellschaftliche Klima? Was hat es Behörden und Politik so schwer gemacht, auf die Opfer zuzugehen?
Andreas Eichmüller: Hauptsächlich war dafür der Zweite Weltkrieg verantwortlich, mit seinen verheerenden Wirkungen nicht nur für die NS-Opfer, sondern auch für die gesamte Bevölkerung. Man kann allgemein sagen: Viele konnten sich darauf zurückziehen, dass sie ja selber viel gelitten hatten. Die Empathie für die wirklichen NS-Opfer, diejenigen, die verfolgt und ermordet worden sind, war in dieser Situation relativ gering.
Wie hat denn die Politik reagiert? Es gab ja NS-belastete Politiker, auch Juristen beispielsweise, die ihre Karrieren fortsetzen konnten.
Man hat da versucht, einen relativ großzügigen Weg zu gehen und nur die offensichtlichen Verbrecher auszuschließen. Auf der anderen Seite, was will man machen mit einem Volk, das den Nationalsozialismus mehr oder minder unterstützt hat? Man konnte nicht alle von der Teilhabe an Ämtern ausschließen. Bei der Entschädigung gab es natürlich Schritte, um den NS-Opfern einen gewissen Ausgleich zu gewähren. Aber aus heutiger Sicht alles doch in sehr engen Grenzen.
Die Entschädigung für die überlebenden Opfer als eine Art Gnadenakt?
Es war sicher so, dass diese Entschädigung in der bundesdeutschen Bevölkerung nicht populär war. Eben weil sich viele selbst als Opfer sahen und glaubten, selbst Ansprüche anmelden zu können. Da gab es auch sicherlich noch starke Ressentiments und antisemitische Stimmungen in weiten Teilen der Bevölkerung. Die Regierung musste da vorsichtig sein. Andererseits hat die Adenauer-Regierung die Wiedergutmachungs-Gesetzgebung durchgesetzt. Man hat Entschädigungen gezahlt - auch natürlich, weil man damit außenpolitisch gut Wetter machen wollte. Wenn es nach der Bevölkerung gegangen wäre, wäre es nicht dazu gekommen.
Ihre soeben veröffentlichte Studie heißt "Keine Generalamnestie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik".
Die 50er Jahre, um die es in meiner Studie geht, gelten, was die juristische Aufarbeitung betrifft, allgemein als die Zeit der großen Versäumnisse. Die Verbrechen in Osteuropa stehen da noch nicht so im Zentrum der Strafverfolgung wie in den späteren Jahren. Man hat auf Anzeigen reagiert - aber aus Osteuropa konnte es die nicht geben. Das besserte sich mit der Gründung der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen, die nicht nur auf Anzeigen reagierte, sondern selbst ermitteln konnte.
Warum beschäftigt sich ein Historiker wie Sie heute mit diesem Themenkomplex?
Der Umgang mit dem Erbe von Diktaturen ist auch heute noch ein aktuelles Thema. Da ist es schon interessant, wie die Bundesrepublik nach 1945 die Sache anging. Man hat ja, sowohl mit der Wiedergutmachung als auch mit der Strafverfolgung, Neuland betreten. So etwas hat es früher, zum Beispiel nach dem Ersten Weltkrieg, nicht gegeben. Da gab es keine Entschädigungen für die Opfer, sondern Reparationen für die Siegerstaaten. Man kann auch daraus lernen. Bei uns gab es eben keine Generalamnestie, im Unterschied zu anderen Ländern. Es war ein Lernprozess - wenn auch mit vielen Versäumnissen. Wenn man es aus der Sicht der Opfer sieht, so ist es sehr unzureichend gelaufen.
Dr. Andreas Eichmüller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München. Sein Buch "Keine Generalamnestie" ist soeben beim Oldenbourg-Verlag erschienen.
Das Interview führte Cornelia Rabitz