Eingekesselte Syrer meist ohne Hilfe
29. Oktober 2016Nur 77.000 Syrer haben in diesem Monat humanitäre Hilfe erhalten, obwohl die Vereinten Nationen eine Versorgung von 960.000 Menschen in 29 Gebieten als besonders dringend eingestuft hatten. Das berichtet die "Rheinische Post" unter Berufung auf eine ihr vorliegende Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine Anfrage der Linken. Damit konnte nicht einmal jeder zehnte Syrer in belagerten Regionen mit Lebensmitteln versorgt werden. Wie Außenamts-Staatssekretär Markus Ederer weiter berichtete, konnten 42.000 Menschen in drei Gebieten, die vom syrischen Regime belagert werden, versorgt werden. Weitere 35.000 Zivilisten wurden in Gebieten beliefert, die die Terrormiliz "Islamischer Staat" belagerte. Außerdem erhielten 20.000 Syrer Unterstützung, die in schwer erreichbaren Regionen leben.
In der belagerten Metropole Aleppo lieferten sich syrische Rebellen und Regierungstruppen schwere Gefechte. Die Gruppen des islamistischen Rebellenbündnisses Dschaisch al-Fateh starteten am Freitag nach eigenen Angaben eine Offensive, um sich aus der Belagerung im Ostteil der Stadt zu befreien.
Die Schlacht werde "die Besetzung der Westbezirke durch das Regime und die unserem Volk auferlegte Belagerung Aleppos beenden", sagte ein Sprecher der einflussreichen islamistischen Ahrar-al-Scham-Miliz. Dem Bündnis gehören unter anderem die Dschihadisten der Fatah-al-Scham-Front (Armee der Eroberung) an, die bis zu ihrer selbsterklärten Abspaltung vom Terrornetzwerk Al-Kaida Al-Nusra-Front hieß. Seit Juli sind die Rebellen im Osten der Stadt eingekesselt.
Wie die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte, feuerten die Rebellen "hunderte" Geschosse auf den Westteil Aleppos ab. Dabei seien mindestens 15 Zivilisten getötet und mehr als hundert weitere verletzt worden. Zudem verübten den Angaben zufolge Selbstmordattentäter mit Autos voller Sprengstoff drei Anschläge auf einen Kontrollposten der Regierungskräfte in West-Aleppo.
Bis zum Abend eroberten die Rebellen der Beobachtungsstelle zufolge einen Großteil des Stadtteils Dahijet al-Assad im Südwesten Aleppos. Allerdings sei eine Militärakademie in dem Gebiet weiter schwer umkämpft. Mindestens 18 syrische Soldaten und andere regierungstreue Kämpfer seien bei den Angriffen am Freitag getötet worden, meldete die Beobachtungsstelle. Angaben zur Opferzahl auf Seiten der Rebellen machte die Organisation nicht. Die Beobachtungsstelle sitzt in England und erhält ihre Informationen von Aktivisten in Syrien. Die Abgaben lassen sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen.
Staatsfernsehen widerspricht Rebellen
Nach Angaben der amtlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana bombardierte die syrische Luftwaffe Rebellenstellungen in westlichen und südlichen Vororten Aleppos, "mehrere Terroristen" seien getötet worden. Das syrische Staatsfernsehen bestritt Geländegewinne der Rebellen in Aleppo.
Ungeachtet der Rebellenoffensive wies Russlands Staatschef Putin eine zuvor öffentlich vorgetragene Bitte des russischen Verteidigungsministeriums um neuerliche Luftangriffe auf Aleppo ab. "Der Präsident hält es für unangemessen, die Luftangriffe wieder aufzunehmen", erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Stattdessen brauche Aleppo nach Putins Einschätzung eine erneute "humanitäre Pause". Russland nimmt Aleppo nach eigenen Angaben seit zehn Tagen von Luftangriffen aus.
Russland und die syrischen Regierungstruppen hatten vor einer Woche drei Tage lang Aleppo für jeweils elf Stunden nicht beschossen. Während dieser Waffenruhe hatten aber kaum Zivilisten die Stadt verlassen. Eine von den Vereinten Nationen geplante Evakuierung von Kranken und Verletzten kam mangels Sicherheitsgarantien nicht zustande.
Die USA warfen der syrischen Regierung am Freitag vor, Hilfslieferungen in die Rebellengebiete verhindert zu haben. Damaskus lasse die Bevölkerung in Aleppo aushungern und begehe damit Kriegsverbrechen, sagte ein US-Regierungsvertreter.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte unterdessen eine Bestrafung der Verantwortlichen eines Luftangriffs auf eine Schule in der Provinz Idlib, bei der am Mittwoch 22 Schüler und sechs Lehrer getötet worden waren. "Solche Angriffe können als Kriegsverbrechen bewertet werden, wenn sie absichtlich geschehen", erklärte Ban.
Die Beobachtungsstelle hatte syrische oder russische Flugzeuge für den Angriff verantwortlich gemacht. Moskau wies jedwede Verantwortung zurück und bestritt am Freitag sogar, dass der Angriff überhaupt stattgefunden habe. Die Fotos von der zerstörten Schule seien eine Fälschung, erklärte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Es gebe somit auch keine Opfer.
stu/ml (afp, dpa, syriahr.com, rp-online.de)