Einigung in letzter Minute
30. April 2004In der Europäischen Union (EU) gilt künftig ein gemeinsames Asylrecht. Das beschlossen die EU-Innenminister am Donnerstag (29.4.2004) in Luxemburg auf ihrer letzten Sitzung vor der EU-Erweiterung am 1. Mai. Dabei wird die umstrittene "Drittstaatenregelung" angewendet. Demnach kommt es nicht darauf an, aus welchem Land jemand flüchtet, sondern in welchem er sich zuletzt aufgehalten hat. War dieses Land ein sicherer Drittstaat, kann dem Flüchtling direkt an der Grenze die Einreise verweigert werden.
Einteilung der Länder in Klassen
Dazu werden die Länder in Klassen eingeteilt. Wer aus "besonders sicheren Staaten" kommt, kann gleich an der Grenze abgewiesen werden, ohne dass ein förmliches Asylverfahren notwendig wäre. Als "besonders sichere Staaten" gelten Länder, die sowohl die Genfer Flüchtlingskonvention als auch die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben haben.
Als nächste Abstufung sieht die Regelung die Klasse der "sicheren Drittstaaten" vor. Bei diesen soll sicher gestellt sein, dass das Leben eines Flüchtlings nicht gefährdet ist. Das Land muss die Genfer Flüchtlingskonvention anerkennen, und es darf dort keine Folter geben. Großbritannien hatte gefordert, auch für diese Länder keine Einzelfallprüfung zu verlangen - konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Flüchtlinge, die durch diese sogenannten "sicheren Drittstaaten" einreisen, können also die Berücksichtigung ihrer persönlichen Lage verlangen.
Welche Länder als "sichere Drittstaaten" zu gelten haben, wurde von der EU allerdings nicht festgelegt. Zunächst einmal gelten die bestehenden Regeln der Einzelstaaten weiter. Für Deutschland heißt das, dass alle angrenzenden Staaten als sicher gelten. Folglich können Asylsuchende ausschließlich mit dem Flugzeug nach Deutschland reisen, und zwar direkt aus einem Land, in dem sie verfolgt werden.
"Kettenabschiebungen" drohen
Bei Menschenrechtsgruppen stößt die europäische Regelung auf Kritik: "Wir halten das für eine katastrophale Entscheidung", so Julia Duchrow, asylpolitische Referentin von "Amnesty International" zu DW-WORLD. "Das ist kein europäisches Asylrecht, sondern einfach nur eine Ausdehnung der deutschen Regelung auf den Osten". Es stelle sich die Frage, ob dies dem Völkerrecht entspreche: "Deutschland hat die Verpflichtung, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten; doch es schiebt die Verantwortung einfach auf Länder wie Russland ab", so Duchrow. Es würden "Kettenabschiebungen" drohen, bei denen niemand mehr nachprüfen könne, was mit dem einzelnen Flüchtling geschehe. Zudem sei es nicht richtig, dass jeder Staat selber entscheiden könne, bei welchem Land es sich um einen sicheren Drittstaat handele. Für positiv hält "Amnesty International" jedoch, dass die Regelung eine Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof ermöglicht.
Vetorecht in der Asylpolitik wird abgeschafft
Für die EU war die Entscheidung vom Donnerstag (29.4.) eine Lösung in letzter Minute. Denn in der erweiterten Union hätten 25 Länder über die gemeinsame Asylpolitik entscheiden müssen - und zwar einstimmig. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Mit der Verständigung auf gemeinsame Regeln wurde das Vetorecht einzelner Staaten abgeschafft. Die qualifizierte Mehrheit wird damit zur Normalentscheidung in der Asylpolitik. Dies betrifft vor allem zukünftige Änderungen bei den "sicheren Drittstaaten".