Dauereinsatz gegen Schleuser
6. Dezember 2016Potsdam/Wien November 2016: Mehr als 300 Polizisten durchsuchen Wohnungen in sieben Bundesländern und verhaften Verdächtige. Zeitgleich gehen österreichische Beamte gegen Schleuser vor. "Internationaler Schlag der Bundespolizei gegen Organisierte Schleusungskriminalität", meldet die Behörde.
Bayern, Juni 2016: Die Bundespolizei entdeckt einen Transporter. Der Fahrer - verschwunden. Auf der Ladefläche - 20 Afghanen, dicht gedrängt. Jeder hat 5000 Euro für die Fahrt von Budapest nach Deutschland gezahlt. Nach der Befragung informiert die Polizei das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Um elf Jugendliche kümmert sich das Jugendamt.
Budapest, August 2016: Ungarische Spezialeinheiten, begleitet von Bundespolizisten, nehmen einen Syrer und einen Ungarn fest. Sie werden verdächtigt, "Teil einer Schleuserbande" zu sein. Die Bundespolizei in Bayern hatte mehrere Fahrer gefasst und die Organisatoren ermittelt. Die Festgenommenen werden nach Deutschland ausgeliefert.
Drei Beispiele für zahllose Einsätze der Bundespolizei gegen Schleuser. Immer enger arbeitet sie mit internationalen Partnern zusammen. Im September gab es Festnahmen in Italien, Belgien, Frankreich und Schweden. Mit 815 Kilometern zu Österreich und 360 Kilometern zu Tschechien hat Bayern den längsten Grenzverlauf: Hier erreichen Flüchtlinge von der Balkanroute deutsches Gebiet und auch diejenigen, die über den Brenner aus Italien kommen. Seit Herbst 2015 werden diese EU-Binnengrenzen kontrolliert - als Ausnahme, verlängert bis 2017.
Mehr Prozesse, mehr Personal
Wegen des "Einschleusens von Ausländern" hat allein Bayern 2015 gegen fast 3600 Verdächtige ermittelt, die 9600 Menschen geschleust haben sollen. Mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. 2016 gingen die Zahlen zurück: Von Januar bis Oktober zeigte die bayerische Bundespolizei 850 Verdächtige an, es ging um knapp 3300 Geschleuste.
Die Gerichte arbeiten die Fälle ab: Zeitweise saßen mehr als 770 Tatverdächtige in Bayern in Untersuchungshaft. Zusätzliche Richter und Staatsanwälte wurden eingestellt. Auch die Bundespolizei soll 7000 zusätzliche Stellen erhalten.
Wann ist Schleusung strafbar?
"Ich wollte nur helfen", das hören Bundespolizisten wie Richter oft von mutmaßlichen Schleppern. Die Straftat "Schleusung" ist in den Paragrafen 96 und 97 des Aufenthaltsgesetzes geregelt. Strafbar macht sich, wer durch Schleusung einen Vorteil erzielen will, wer mehrfach Ausländern bei der illegalen Einreise hilft oder mehreren auf einmal.
Wenn Schleuser gewerbsmäßig handeln oder als Teil einer Bande, aber auch wenn sie die Geschleusten einer gefährlichen Behandlung aussetzen, drohen höhere Strafen. Wer den Tod von Geschleusten verursacht, kann bis zu 15 Jahre Haft bekommen.
Tod durch Schleusung
Für Entsetzen sorgte 2015 ein Fund in Österreich: In einem Laster aus Ungarn waren 71 Menschen qualvoll erstickt. Für Deutschland hat das Bundeskriminalamt von 2009 bis 2015 drei Fälle von "Schleusungen mit Todesfolge" erfasst. Tendenz steigend.
Das Landgericht Frankfurt/Oder etwa verurteilte einen Syrer wegen "versuchter gewerbsmäßiger und bandenmäßiger Einschleusung mit Todesfolge" zu vier Jahren Haft. Er hatte eine Überfahrt von der Türkei nach Griechenland organisiert. 2400 Euro verlangte er pro Person. Der Motor fiel aus, das überfüllte Boot kenterte. Fünf Menschen starben. "Ich bedauere, was passiert ist", sagte der Angeklagte.
Schleuser - Fluchthelfer - Helden?
"Schleuser und stolz darauf", schrieb die Tageszeitung "taz" über den Bundestagsabgeordneten der Linken Diether Dehm. Er hatte einen minderjährigen Flüchtling aus Italien im Auto nach Deutschland gebracht.
Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, empörte sich, "wie ein gewählter Parlamentarier die Rechtsordnung missachtet". Dehm sagte: "Wenn Schutzbedürftige Hilfe brauchen, muss man ihnen helfen." Gegen ihn wurden Ermittlungen eingeleitet. Mehrere Initiativen rufen zur Fluchthilfe ohne Gegenleistung auf.
"Für Flüchtlinge sind Schleuser Helden", sagte der italienische Autor Giampaolo Musumeci "Zeit Online". Jahrelang recherchierte er im Schleuser-Milieu und wies darauf hin, "dass Schleuser Flüchtlingen etwas anbieten, was Europa ihnen verweigert". Die EU versuche etwa, Syrer davon abzuhalten, ihr Recht auf politisches Asyl in Europa wahrzunehmen.
"Abschottung nützt Schleusern"
Auf der Balkanroute konnten 2015 viele Flüchtlinge Grenzen ohne Schleuser überqueren. Zeitweise sorgten staatliche Stellen für den Transport. Das hat Schleppern das Geschäft verdorben, sagt UN-Berater Andreas Schloenhardt der DW: "Abschottung nützt Schleusern."
Mittlerweile setzt Europa auf Abschottung: Im Frühjahr 2016 ging die Zahl illegaler Grenzübertritte schlagartig zurück, erinnert man sich bei der Bundespolizei. Nach Ungarn, Slowenien, Kroatien und Serbien hatte auch Mazedonien die Grenze geschlossen.
Im April trat das EU-Türkei-Abkommen in Kraft, wonach die Türkei Migranten aus Griechenland zurücknimmt, die kein Asyl erhalten. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte zum Türkei-Abkommen: "Damit haben wir es geschafft, das Geschäftsmodell der Schlepper zu zerstören."
Im Bundesinnenministerium (BMI) geht man davon aus, dass Menschen, die genug Geld an Schleuser zahlen, Deutschland auch erreichen können. Die Zahlen illegaler Grenzübertritte pro Tag bewegen sich laut BMI "im unteren dreistelligen Bereich".
Europol nennt Schleusung die am schnellsten wachsende Form der organisierten Kriminalität. Die Gewinnmargen seien beträchtlich, heißt es im BMI. Das Risiko für Hintermänner sei durch "extrem gut vernetzte Organisationsstrukturen" vergleichsweise gering: Gefasst werden oft nur Fahrer. Sie tragen das höchste Risiko und erzielen die geringsten Profite.
Mehr als 4700 Tote und Vermisste im Mittelmeer
Während die Balkanroute weitgehend abgeriegelt ist, versuchen zehntausende Menschen, Europa über Nordafrika und das Mittelmeer zu erreichen. Sehr oft werden untaugliche Boote gefährlich überladen. Das bringt Schleusern hohe Gewinne und die Flüchtlinge in Lebensgefahr, wenn kein Rettungsboot in der Nähe ist.
Obwohl viel weniger Menschen übers Mittelmeer flüchten als 2015, sind in diesem Jahr schon mehr als 4700 Menschen ertrunken oder werden vermisst - mehr als je zuvor. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR nennt 2016 das "tödlichste Jahr im Mittelmeer".
Knapp 172.000 Menschen landeten in Griechenland - vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak -, fast 174.000 in Italien - meist aus afrikanischen Sub-Sahara-Staaten. Deutschland hat zugesagt, pro Monat 500 Flüchtlinge aus Italien und 500 aus Griechenland zu übernehmen - eine Umverteilung nach der angestrebten EU-Quotenlösung, die viele EU-Staaten boykottieren.
Kampf gegen Schleuser in Afrika
Wie kann man Menschen vom Weg über das Mittelmeer abhalten? Die EU und die deutsche Regierung setzen auf enge Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern.
Deutsche Verbindungsbeamte beraten und unterstützen bei der Aus- und Fortbildung der Polizei, bei Passkontrollen oder Luftsicherheit, bisher in Ägypten, Tunesien und Marokko. Auch eine Kooperation mit Algerien und Libyen wäre wünschenswert, sagt Helmut Teichmann, Leiter der Abteilung Bundespolizei im BMI, der DW, doch das lasse die Sicherheitslage noch nicht zu.
Im Gespräch ist man auch mit Niger, durch das viele Menschen aus Westafrika reisen. Bundeskanzlerin Angela Merkel bot Niger, Mali, Äthiopien und dem Tschad Hilfe beim Kampf gegen Schlepper an. Man will die Innen- und Verteidigungsminister beraten und gegebenenfalls deutsche Polizisten entsenden.
Die EU will mit Migrationsabkommen zunächst Niger, Nigeria, Senegal, Mali und Äthiopien verpflichten, die illegale Migration Richtung EU zu unterbinden und abgelehnte Flüchtlinge zurückzunehmen. Im Gegenzug soll es Aufbauhilfen geben. Der UNHCR lehnt eine Kopplung von Entwicklungshilfe an Rückführung ab.
Was hilft gegen Schleuser?
Unter dem Eindruck der vielen Toten im Mittelmeer sucht man Lösungen. "Die Einrichtung von Aufnahmezentren der EU in Nordafrika" sei eine Überlegung, sagt Helmut Teichmann vom BMI. Ziel müsse sein, "Schleusern die Grundlage für ihre Geschäfte zu entziehen und die Migranten vor der lebensgefährlichen Überquerung des Mittelmeers zu bewahren".
"Statt Schlepperbooten hinterherzuschippern, müsste man so etwas wie Fähren einrichten", sagt Migrationsforscher Serhat Karakayali der DW. Schlepper zu bekämpfen sei aussichtslos. Der UNHCR fordert, "sichere legale Wege für schutzbedürftige Personen in einer massiven Größenordnung auszubauen".
Pro Asyl, medico international und Brot für die Welt warnten in einer gemeinsamen Stellungnahme: "Der Kampf gegen sogenannte Schlepper und Schleuser - zunehmend mit militärischen Mitteln - läuft ins Leere, wenn legale und sichere Zugangswege verwehrt werden."
So sieht es der Syrer Alaa Houd im DW-Gespräch: "Egal, ob Europa oder die Welt etwas gegen Schlepper unternimmt oder nicht: Menschen in Not werden immer einen Weg finden, um zu fliehen. Ich würde es jederzeit wieder tun, denn in Damaskus war ich schon lange tot."