Einwanderer besser qualifiziert als Deutsche
27. Mai 2013Schuo Chens Geburtsort ist zwölf Autostunden von Schanghai entfernt. Um ihm eine bessere Ausbildung zu ermöglichen, beschloss seine Familie, dass er im Alter von sechs Jahren - fernab von seinen Eltern - zu Verwandten zieht und in der Megametropole Schanghai zur Schule geht. Mit 19 Jahren wagte Schuo einen noch viel größeren Sprung, tauschte Wolkenkratzer gegen rheinland-pfälzische Gemütlichkeit und studierte in Worms Wirtschaftswissenschaften. Heute hat der mittlerweile 35-Jährige eine Führungsposition in einem deutschen Maschinenbau-Unternehmen inne. Eine Erfolgsstory, die nach Ansicht von Experten nicht selten ist.
Es sei gerade die Elite Chinas, die nach Deutschland kommt, um hier Informatik, Betriebswirtschaft oder Ingenieurswissenschaften zu studieren, erklärt Tobias Busch, Personalvermittler für chinesische Fach- und Führungskräfte vom Unternehmen Personalglobal im Gespräch mit der DW. "Das ist eine positive Auslese von Leuten, die viel Kraft, Energie und Leistungswillen haben." Während die wohlhabenden Kinder der politischen Führungsriege auf eine der teuren Top-Universitäten Englands oder der USA gingen, kämen die weniger betuchten Talente zum günstigen Studium nach Deutschland. Insgesamt lebten in Deutschland rund 20.000 bis 30.000 angehende oder schon fertige Akademiker aus der Volksrepublik. "China spielt bei der Einwanderung eine deutlich größere Rolle, als die meisten Menschen es wahrnehmen."
Zahl der hochqualifizierten Einwanderer steigt
Nach wie vor gebe es in Deutschland die Vorstellung, die Einwanderer seien eher schlechter qualifiziert, sagt Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker. Dabei sei das Gegenteil der Fall. Im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellte er eine Studie. Diese besagt, dass heute 43 Prozent der neuen Einwanderer zwischen 15 und 65 Jahren einen Meister, Hochschul- oder Technikerabschluss haben. Das sind mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2000. Bei den Deutschen ohne ausländische Wurzeln haben nur 26 Prozent einen entsprechenden Abschluss. Gleichzeitig hat sich die Anzahl der Geringqualifizierten von 40 Prozent auf 25 Prozent nahezu halbiert.
Neben Chinesen wie Chen sind es vor allem Menschen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten aus Mittel- und Osteuropa, die in Deutschland Fuß fassen wollen. "Die Zuwanderung liegt natürlich sehr stark an der Eurokrise", erklärt Brücker im DW-Gespräch. Alte Zielländer wie zum Beispiel Spanien, Italien, Großbritannien und Irland seien durch die hohe Arbeitslosigkeit nicht mehr attraktiv. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kamen im vergangenen Jahr insgesamt 369.000 mehr Menschen nach Deutschland als abwanderten. Das sei der höchste Wert seit 1995, so das Bundesamt.
Bürokratische Hürden überwinden
Die Anzahl der Einwanderer könnte jedoch mit dem Ende der Eurokrise bald wieder schrumpfen, schätzt Bertelsmann-Stiftungsvorstand Jörg Dräger. Dabei sei Deutschland nach wie vor auf gut qualifizierte Einwanderer angewiesen: "Wir haben Fachkräftemangel, wir sind eine schrumpfende Bevölkerung und unsere Sozialversicherungssysteme werden instabil, wenn immer weniger junge Leute immer mehr ältere Menschen finanzieren müssen", warnt er. Die Stiftung wirbt deshalb für eine neue Einwanderungspolitik. Eine sogenannte "Schwarz-Rot-Gold"-Karte soll an Hochqualifizierte und Fachkräfte in Mangelberufen verteilt werden. Dabei soll das Qualifikationsprofil des Einwanderers und der Bedarf am deutschen Arbeitsmarkt berücksichtigt werden. Die Karte soll eine unbeschränkte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung garantieren. So sollen die besten Köpfe nach Deutschland geholt werden.
"Wir konkurrieren in der Tat mit den USA, Kanada und Australien", sagt Arbeitsmarktexperte Brücker. Auch diese Länder steuerten die Zuwanderung überwiegend über Punktesysteme. "Wir brauchen nicht nur rechtliche Veränderungen, die in diese Richtung gehen - da hat sich schon einiges in den letzten Jahren getan - wir brauchen parallel dazu eine klare Anwerbestrategie."
Dazu gehört auch eine bessere Anerkennung der Bildungsabschlüsse. Zwar trat schon 2012 in Deutschland ein neues Anerkennungsgesetz in Kraft. Doch noch immer scheitert es an bürokratischen Hürden. "Das Hauptproblem ist, dass die Bildungssysteme ganz unterschiedlich sind in Europa." So haben die meisten Länder kein duales Ausbildungssystem, wie es in Deutschland oder Österreich schon lange etabliert ist. Statt den Beruf direkt im Betrieb zu erlernen, würden viele ihren Berufsabschluss an einer Schule erwerben.
Die Auswanderer-Länder profitieren
Doch wie kommen die Auswanderer-Länder damit klar, dass ihre Akademiker und Facharbeiter das Weite suchen? Schon vor Jahren warnten Experten vor dem sogenannten Brain Drain - dem rasanten Schwund von Hochqualifizierten, der den jeweiligen Volkswirtschaften schaden soll. Für Arbeitsmarkt-Experte Brücker hat die Zuwanderung nach Deutschland jedoch auch für die Heimatländer positive Effekte. "Die Arbeitslosigkeit sinkt mit der Auswanderung. Dadurch entsteht für den Staat und die Volkswirtschaft ein Gewinn, weil die Pro-Kopf-Belastung zurückgeht."