Mit Eismauer gegen Katastrophe?
16. September 2013Die Hiobsbotschaften aus Fukushima reißen nicht ab: Grundwasser strömt in die zerstörten Atomreaktoren, Tanks mit hochradioaktivem Wasser auf dem Gelände lecken, eine Bergung der strahlenden Reaktorkerne und Brennelemente ist noch nicht in Sicht und das Meer wird kontaminiert.
Mit einer 1,4 Kilometer langen Sperrwand aus Eis im Untergrund will die japanische Regierung den Zufluss von Grundwasser in die vier Atomruinen stoppen und damit die radioaktive Verseuchung von Grundwasser und Meer verringern. Bis März 2015 soll die Eiswand fertig sein. Derzeit strömen rund 300 – 400 Tonnen Grund- und Regenwasser pro Tag in die Keller der zerstörten Reaktoren.
Beim Tunnelbau wird die Bodenvereisung seit langem praktiziert. Dafür werden Rohre in die Erde getrieben, durch die dann Kühlmittel fließt. Für einige Tage oder Wochen wird dann die feuchte Erde während der Bauarbeiten vereist. Eiswände, die über Jahre und Jahrzehnte betrieben werden und dazu in einer solchen Größe" hat es jedoch noch nie gegeben", sagt Vereisungsexperte Helmut Haß von der internationalen Bau und Beratungsfirma CDM Smith in Bochum. Aus diesem Grund müsse man auch die Erfolgschancen dieser Rettungsmaßnahmen vorsichtig betrachten.
Dass die Vereisungstechnik bisher nicht für den langfristigen Betreib ausgelegt ist, wird von Experten und auch der japanischen Zeitung Asahi Shimbun als Schwachpunkt gesehen. Asahi Shimbun kritisiert, dass diese Technik nicht erprobt sei und es "ein paar Jahre dauern würde" bis die Technologie vor Ort installiert sei. Und die Eismauern könnten teuer werden: Die japanische Nachrichtenseite Spreadnews berichtet von Kostenschätzungen für Fertigung und Wartung einer derartigen Anlage im zweistelligen Milliardenbereich.
Warnung vor Zeitverlust und Ignoranz
Erst später wird feststellbar sein, ob der japanische Regierungsplan erfolgreich ist. "Wasser findet seine Wege und kann auch Eismauern unterspülen oder durchdringen", sagt Atomexperte Christoph Pistner vom Öko-Institut Darmstadt im DW-Interview.
Die Umweltorganisation Greenpeace hält den vorgestellten Plan für insgesamt nicht ausgereift, viele Probleme blieben unberücksichtigt. Der Plan "dient offenbar mehr der Beruhigung, als eine tatsächliche Kehrtwende im unzureichenden Krisenmanagement zu sein", kritisiert der Atomexperte von Greenpeace, Heinz Smital. Er fordert die parallele Entwicklung von anderen Plänen, um den Grundwasserzutritt in die Reaktorgebäude zu verringern, "weil mit einem Scheitern der Eiswand gerechnet werden muss".
Der unabhängige Atomexperte Mycle Schneider aus Paris sieht dies ähnlich und bezweifelt, dass es eine Eiswand geben wird. Er bezeichnet die Pläne als "teures Abenteuerprovisorium, aber keinesfalls als einen Schritt auf dem Weg der dringend notwendigen Stabilisierung des Standortes". Er sieht in dem Plan lediglich eine Ankündigungspolitik, die darauf abziele "ausschließlich die Gemüter des olympischen Komitees für die Spiele 2020 zu beruhigen".
Schneider fordert stattdessen eine Task Force mit internationalen Experten, die Japan permanent bei der Stabilisierung der Anlage und beim Strahlenschutz berät. Er warnt vor den anhaltenden Gefahren der schnell zusammengeschraubten Tanks auf dem Atomgelände. "Jeder Tornado oder weitere Erdbeben könnten zu der Zerstörung von einem oder gar mehreren der 1000- Kubikmeter-Tanks führen, deren radioaktiver Inhalt sich ins Meer ergießen würde", so Schneider.
Das radioaktives Cäsium, das in den Behältern, Kellerräumen und Abklingbecken lagert, ist nach seinen Angaben ein Vielfaches dessen, das bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl freigesetzt wurde. Schneider warnt die internationale Staatengemeinschaft vor den anhaltenden Problemen und wirft ihr Versagen durch Wegschauen vor.