Eklat bei "Cumhuriyet"-Prozess in Istanbul
25. Dezember 2017Im umstrittenen Prozess gegen 17 Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" ist eine Anhörung nach einem Eklat unterbrochen und auf den 9. März vertagt worden. Richter Abdurrahman Orkun Dag ließ den Angeklagten Ahmet Sik aus dem Saal bringen, nachdem dieser bei seiner Verteidigung die türkische Regierung als "diktatorisches Regime" kritisiert und von einem politisch motivierten Verfahren gesprochen hatte. Sein Mitangeklagter, Chefredakteur Murat Sabuncu, weigerte sich danach aus Protest, mit dem Gericht zu sprechen. Unterstützer Siks riefen: "Auch ihr werdet alle eines Tages vor Gericht gestellt werden."
Es drohen 43 Jahre Haft
Die 17 Journalisten und Mitarbeiter der traditionsreichen "Cumhuriyet" sind der "Unterstützung von Terrororganisationen" angeklagt. So sollen sie die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen unterstützt haben, die von Präsident Recep Tayyip Erdogan für den Putschversuch von Juli 2016 verantwortlich gemacht wird. Ihnen drohen bis zu 43 Jahre Haft. Die Angeklagten weisen alle Vorwürfe zurück; auch viele Unterstützer betrachten den Prozess als politisch motiviert.
Das Verfahren begann am 24. Juli. Während die meisten Mitarbeiter bei den ersten Anhörungen für die Dauer des Prozesses freigelassen wurden, sitzen "Cumhuriyet"-Chefredakteur Murat Sabuncu, der Herausgeber Akin Atalay, Investigativjournalist Sik und der Buchhalter der Zeitung, Yusuf Emre Iper, weiter in Haft. Wie das Gericht nun entschied, werden sie bis zur nächsten Anhörung im März festgehalten.
Unterstützung vor dem Gerichtsgebäude
Ende November war der Chefredakteur des Online-Auftritts der "Cumhuriyet" wegen Terrorpropaganda zu drei Jahren und einem Monat Haft verurteilt worden. Das Gericht befand Oguz Güven für schuldig, Propaganda für die Gülen-Bewegung gemacht und Erklärungen von Terrororganisationen veröffentlicht zu haben.
Vor dem Istanbuler Justizpalast Caglayan hatten sich vor der fünften Anhörung dutzende Unterstützer der "Cumhuriyet"-Mitarbeiter versammelt. Sie forderten auf Plakaten unter anderem "Gerechtigkeit für alle Journalisten". Einige hielten die Titelseite der aktuellen "Cumhuriyet" hoch, auf der steht: "Gerechtigkeit sofort"."
Zehntausende in der Türkei in Haft
Seit dem versuchten Militärputsch wurden in der Türkei mehr als 55.000 Menschen unter dem Verdacht festgenommen, zur Gülen-Bewegung zu gehören. Auch hunderte Oppositionelle, Journalisten, Akademiker und andere regierungskritische Intellektuelle wurden inhaftiert. Mehrere zehntausend Staatsbedienstete wurden aus ihren Ämtern entfernt.
cw/jj (rtr, afp, dpa)