Eklat im Bundestag um Betreuungsgeld
15. Juni 2012Es ging um einen eher unbedeutenden Tagesordnungspunkt, zur Abstimmung stand ein Antrag der oppositionellen Sozialdemokraten zum Presse-Großhandel. Wie bei solchen Themen üblich, waren längst nicht alle Abgeordneten im Plenarsaal des Bundestages. Normalerweise ist das kein Problem. Doch dann waren die Mehrheiten unklar.
Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau von der Linkspartei, die zu diesem Zeitpunkt die Sitzung leitete, ordnete daraufhin eine Abstimmung durch den sogenannten Hammelsprung an. Dazu müssen zunächst alle Abgeordneten den Plenarsaal verlassen und dann durch eine Ja-Tür, eine Nein-Tür oder eine Enthaltungs-Tür wieder hereinkommen, wobei sie gezählt werden.
Beschlussunfähigkeit provoziert
Also gingen alle hinaus, aber die Abgeordneten der Opposition kamen nicht wieder herein. Da auch die Koalitions-Fraktionen längst nicht vollzählig waren, ergab die Auszählung, dass weniger als die Hälfte der Abgeordneten im Saal war. Damit war die Beschlussfähigkeit, die mehr als die Hälfte der Abgeordneten verlangt, offenkundig nicht mehr gegeben. Sitzungspräsidentin Pau beendete daraufhin, wie es die Geschäftsordnung des Bundestags verlangt, die Sitzung (Artikelbild).
Eigentlich hätte gut eine Stunde später die erste Lesung des Betreuungsgeld-Gesetzes beginnen sollen. Ihr hätten die Ausschuss-Beratungen folgen sollen und dann Ende Juni die Schlussabstimmung. Das Betreuungsgeld - also die Zahlung für Eltern, die ihre unter dreijährigen Kinder nicht in eine öffentliche Tagesbetreuung geben - wird von der Opposition heftig bekämpft. In ihren Augen fördert das Betreuungsgeld ein antiquiertes Familienmodell.
Heftige Kritik an der Opposition
In einer ersten Reaktion nannte der Generalsekretär der regierenden CDU, Herrmann Gröhe, das Verhalten der Opposition "schäbig". Sein Kollege von der bayerischen Schwesterpartei CSU konstatierte ein "kleines, dreckiges Foulspiel". Beide hoben hervor, dass weit mehr als die erforderliche Hälfte der Abgeordneten anwesend gewesen sei. Dass trotzdem absichtlich die Beschlussunfähigkeit herbeigeführt worden sei, sei unparlamentarisch.
Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck verwies dagegen darauf, dass viele Abgeordnete der Koalition zum Zeitpunkt der Abstimmung schon aus Berlin abgereist gewesen seien. "Die Opposition kann nicht die Mehrheiten für die Koalition garantieren", sagte Beck. Das Verhalten der Opposition rechtfertigte Beck auch dadurch, dass die Koalition zuvor mit einem Verfahrenstrick ein verkürztes Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt habe. Damit habe sie ohne Not die "Rechte der Opposition auf Befragung und Beratung ignoriert". Diese verkürzte Gesetzgebung ist allerdings ein öfter gewähltes Verfahren, während die künstliche Herbeiführung der Beschlussunfähigkeit bisher nicht üblich war.
Zeitplan nicht mehr einzuhalten
Im Anschluss an den Eklat tagte der Ältestenrat des Bundestages, der aus den Fraktionsführungen und dem Parlamentspräsidium besteht. Und da kam heraus, dass die Union keine Sondersitzung mehr zur Verabschiedung des Betreuungsgeldes noch vor der parlamenarischen Sommerpause beantragen wird. Die erste Lesung des Gesetzentwurfes wird demnach in der letzten Sitzung vor der Sommerpause Ende Juni sein. Die Verabschiedung dürfte dann erst im September erfolgen. Gefährdet ist das Betreuungsgeld damit allerdings nicht, da es ohnehin erst ab 2013 ausgezahlt werden soll.