Prozess um Elbvertiefung
15. Juli 2014Die Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über die Rechtmäßigkeit einer Elbvertiefung begannen am Dienstag (15.7.2014). Die deutschen Umweltverbände NABU und BUND haben die Klage angestrengt, um das Ausbaggern des Flusses zu verhindern. Sie argumentieren, dass die EU Wasserrahmenrichtlinie verlangt, dass bis 2015 in allen Gewässern der EU ein "guter" Umweltschutzstandard herrschen muss. Dies sei mit einer Elbvertiefung nicht vereinbar. Das Gericht hat sechs Verhandlungstage angesetzt.
Moderne Schiffe gelten als umweltfreundlich: Im Vergleich zu ihrer riesigen Transportkapazität verbrauchen sie deutlich weniger Energie als die Bahn oder der Lkw. Die größten modernen Hochseeschiffe können heute etwa 13.000 Zwanzig-Fuß-Container (TEU) aufnehmen, also etwa die Ladung von 200 Güterzügen oder 7000 Lkws. So entlasten sie Schiene und Straße.
Aber auch die Schifffahrt beeinträchtigt die Umwelt. Denn immer größere Schiffe benötigen immer größere Häfen und tiefere Zufahrten und Kanäle - so auch in Hamburg. Deutschlands größter Hafen soll jetzt für die neueste Generation von Containerschiffen fit gemacht werden. Dazu muss die Fahrrinne in der Unter- und Außenelbe, also zwischen Hamburg und der Nordsee, ausgebaggert werden. Drei Bundesländer grenzen hier an den Fluß: Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Alle drei haben für das Projekt ihre Zustimmung gegeben.
Nach dem Willen der Planer sollen in Zukunft Schiffe bis 13,50 Meter Tiefgang jederzeit Hamburg erreichen können. Bisher sind nur 12,50 Meter möglich. Bei Hochwasser sollen sogar Schiffe mit bis zu 14,50 Meter Tiefgang nach Hamburg fahren können. Containerschiffe der neuesten Generation können den Hafen bisher nicht voll beladen anfahren. Sollte die Vertiefung des Flusses nicht bald erfolgen, befürchten die Hamburger Reeder und Terminal-Betreiber deshalb Standort-Nachteile.
Doch Umweltverbände haben Widerstand angekündigt. Eins ihrer Argumente: Seit über einem Jahr hat ein riesiger neuer Hafen in Deutschland seinen Betrieb aufgenommen, der Problemlos alle Schiffe aufnehmen könnte: Der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven. Praktisch wird er aber bisher von Reedern und Speditionen kaum genutzt. Und auch viele Obstbauern aus der Region stehen dem Projekt kritisch gegenüber.
Brackwasser gefährdet den Obstbau
Einer von ihnen ist Gerd Lefers. Hinter dem Hof seiner Familie erstrecken sich lange Reihen zahlloser Kirschbäume. Seit dem späten 18. Jahrhundert baut die Familie Lefers in der Gemeinde Jork Obst an. Jork liegt im Alten Land, einem Gebiet nordwestlich von Hamburg, in dem mehr als 1000 Betriebe Äpfel, Birnen, Kirschen oder Pflaumen anbauen. Mit einer Anbaufläche von über 10.500 Hektar ist das Alte Land eines der größten Obstanbaugebiete Europas. Doch Lefers sieht den traditionsreichen Wirtschaftszweig vom Fortschritt bedroht.
Besonders fürchtet er, dass das Wasser der Elbe durch eine Veränderung der Strömung zu salzig werden könnte. "Wir brauchen im Obstbau sehr große Wassermengen für die Frostschutzberegnung", erläutert er. Während der einsetzenden Vegetationsperiode kann es in Norddeutschland bis ins späte Frühjahr hinein noch Frosteinbrüche geben. Wenn dies passiert, besprüht er die Obstbäume mit feinen Wassertröpfchen. Paradoxerweise setzt das gefrierende Wasser dann Wärme frei und schützt so die Blätter und Blüten vor Schäden. "Im Sommer müssen wir darüber hinaus die Bäume wegen der Klimaveränderung zunehmend kühlen und wässern", fügt Lefers hinzu.
Das benötigte Wasser - bis zu 40 Kubikmeter pro Hektar und Stunde - bezieht Lefers über weit verzweigte Bewässerungskanäle aus der Unterelbe, die in zwei Kilometern Entfernung an seinem Hof vorbeifließt. Doch die geplante Vertiefung des Flusses würde eine Verschiebung der Brackwasserzone mit sich bringen. Der Bereich des Flusses, in dem sich bei Hochwasser das Süßwasser der Elbe mit dem Salzwasser der Nordsee vermischt, würde den Fluss hinauf landeinwärts wandern und die Wasserversorgung empfindlich stören.
"Das Wasser muss relativ salzarm oder sogar salzfrei sein", so Lefers. "Sonst verderben wir langsam unsere Böden und unsere Pflanzen gehen kaputt." Mit den letzten Elbvertiefungen habe sich die Brackwasserzone um 25 Kilometer flussaufwärts verschoben." Bei der nächsten Vertiefung sollen es nur ein paar hundert Meter sein, obwohl so viel gebaggert wird wie bei den letzten drei Vertiefungen zusammen. Da fehlt mir wirklich der Glaube."
Laichgebiete und seltene Pflanzenarten
Das Land Niedersachsen hat einigen Obstbauern im Alten Land finanzielle Unterstützung in Millionenhöhe für alternative Bewässerungssysteme zugesagt. Allerdings liegt die Gegend um Jork zu weit stromaufwärts, um von den Geldern zu profitieren. Ohnehin gehe es um mehr als um Bewässerungssysteme, sagt Gerd Lefers. Er befürchtet eine unumkehrbare Versalzung des Bodens. "Die oberen Schichten bestehen aus Kleiboden, der wenig Wasser durchlässt", erläutert er. "Darunter sind grobsandige Schichten, die Wasser führen. Wenn man die bei der Elbvertiefung ankratzt, dann dringt Salzwasser in diese Schichten ein. Über unterirdische Wasserläufe verteilt sich das dann über das gesamte Gebiet." Schon jetzt gebe es in der Gegend Feuerlöschbrunnen, aus denen bei bestimmten Elbwasserständen Salzwasser komme.
Auch Umweltverbände schlagen Alarm. "Wir rechnen damit, dass in den Sommermonaten der Sauerstoffwert im Wasser unter die kritischen drei Milligramm fällt," sagt Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Hamburg. "Das ist für die Fischfauna sehr verheerend." Darüber hinaus seien die für die Ökologie des Flusses wichtigen Flachwasserbereiche an den Ufern bedroht, so Braasch. "Diese Bereiche sind lichtdurchflutet. Dort findet die Produktion von Kleinstlebewesen statt, dort ist die Kinderstube für Elbfische. Und wenn diese Flachwasserbereiche noch weiter abnehmen, dann droht das ganze System irgendwann zu kippen."
Teile der Unterelbe seien außerdem Heimat der Wasserfenchel, einer extrem bedrohten Pflanzenart aus der Gruppe der Schierlingsgewächse. Weltweit komme sie nur noch im Großraum Hamburg vor und es existierten inzwischen weniger als 2500 Exemplare. "Wenn Sie so wollen, ist das der botanische Pandabär", sagt Braasch. "Der Lebensraum dieser seltenen Pflanze wird durch die nächste Elbvertiefung noch einmal weiter eingeschränkt. Auch das spricht dafür, dass diese Elbvertiefung ökologisch nicht mehr vertretbar ist.
Zukunftsfähigkeit des Hafens
Die Gegner der Elbvertiefung sehen sich mächtigen Wirtschaftsinteressen gegenüber. Nach Rotterdam ist der Hamburger Hafen der zweitgrößte Europas. Geschätzte 150.000 Arbeitsplätze in ganz Norddeutschland hängen direkt von ihm ab. Sollten die immer größer werdenden Containerschiffe nicht mehr in der Lage sein, Hamburg anzufahren, so die Befürchtung, hätte dies negative Folgen für die gesamte Region. "Die Schiffe sind mobil, die Häfen sind es nicht", warnt Norman Zurke, Hauptgeschäftsführer des Unternehmensverbands Hafen Hamburg.
Er vertritt die Interessen von über 100 Betrieben, die im Hafen aktiv sind. "Wenn wir als deutsche Häfen diese Schiffe bei uns nicht abfertigen könnten, dann würden diese Schiffe schlichtweg woanders hingehen“, sagt er. In der Folge, so Zurke, würden die von den Schiffen abhängigen Logistikketten ebenfalls abwandern. Hamburg würde seine Bedeutung als Welthafen einbüßen, Arbeitsplätze und Wertschöpfung würden der Stadt verloren gehen.
Die Elbvertiefungs-Gegner schlagen als Alternative vor, der Hamburger Hafen solle für die Abfertigung der großen Containerschiffe zukünftig mit dem neuen Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven kooperieren. Doch das hält Zurke für unrealistisch: Die Zahl der jährlich in den deutschen Nordseehäfen abgefertigten Zwanzig-Fuß-Container werde in den kommenden Jahren auf über 40 Millionen steigen. "Dieses Mengenvolumen kann nicht alleine an einem Standort bewältigt werden", sagt Zurke. "Das kann nur durch mehrere Häfen gewährleistet werden und davon ist Hamburg der größte. Wir können hier bis zu 25 Millionen Container abfertigen und diese Kapazität braucht man."
Mit der Zustimmung Niedersachsens zur Elbvertiefung Ende April 2012 hatte das Projekt eine politische Hürde überwunden. Im Oktober 2012 hatten das Bundesverwaltungsgericht dann einem Eilantrag der Umweltverbände stattgegeben und einen Baustopp verfügt. Jetzt muss das Bundesverwaltungsgericht im Hauptverfahren entscheiden.