Emir Kusturicas neuer Film
8. September 2016Er steht schon seit 1981 in der Trophäenvitrine, der goldene Löwe von Venedig. Dazu noch ein Paar Goldene Palmen aus Cannes und ein Silberner Bär aus Berlin. Mit jenem Löwen für "Erinnerst du dich an Dolly Bell" fing die Weltkariere von Emir Kusturica an. Der heute 61-Jährige möchte nun nachlegen. Nach neunjährigen Regieabstinenz präsentiert er im Wettbewerb von Venedig mit "On the Milky Road" ein neues Epos (Premiere am 9. September). Als Hauptdarstellerin gewann er die unverwüstliche Monica Bellucci, die männliche Hauptrolle sowie Drehbuch und Regie, vertraute Kusturica gleich sich selber an. Kein Wunder also, dass der exzentrische Filmemacher wieder im Gespräch ist.
In der Heimat umstritten
In seiner Geburtsstadt Sarajevo bejubelte man allerdings die Nachricht, dass das neue Werk von Kusturica für die vergangenen Filmfestspiele in Cannes nicht ausgewählt wurde. Der Boulevard in Bosnien ist stets bemüht, dem politisch kontroversen Kusturica sein Talent abzusprechen. Für viele bosnische Muslime ist er der ultimative Verräter, der, als der Vielvölkerstadt Jugoslawien zu zerbrechen begann, seine Stadt und seine Nachbarn vergessen hat. Der Opportunist habe sich mit dem serbischen Kriegsherrn Slobodan Milošević arrangiert, und dank dessen Gnade an seinem Meisterstück "Underground" arbeiten können.
Geschwiegen hat Kusturica aber nicht vollends. Als die bosnisch-serbischen Truppen 1992 seine Heimatsstadt belagerten, verbreitete er aus Paris Nachrichten via TV Sarajevo. "Ich nutze die Gelegenheit, um Herrn Karadžić darum zu bitten, mit seiner Autorität diese Armseligen und Lausigen zu beeinflussen, dass sie keine Granaten mehr auf meiner Stadt werfen!" Ein vergeblicher Appell, weil doch ausgerechnet jener Radovan Karadžić der Antreiber und Befehlshaber der "Armseligen und Lausigen" war.
Kusturica und die Mächtigen
Bosnische Muslimen sahen auch in Kusturica einen "Armseligen und Lausigen". In seiner Familie spielte es keine Rolle, dass sein Vater, ein Partisan und harter Kommunist, offiziell muslimischen Glaubens war. Der einzige Gott in Kusturicas Haus hieß Tito. Der Regisseur setzte schon in frühen Filmen auf Provokation. "Papa ist auf Dienstreise" (1985) spricht von den Zeiten des Bruchs mit der Sowjetunion, als in Jugoslawien vermeintliche Stalinisten über Nacht in Arbeitslager gebracht wurden. Trotzdem liebte Kusturica sein Land Jugoslawien. Der Zerfall schmerzte ihn: "Die Muslime, Serben und Kroaten haben uns Bürger besiegt", sagte er mehrmals.
Seiner Erzählung zufolge, verließ Kusturica Sarajevo weil ihn der bosnische Kriegspräsident Alija Izetbegović als Aushängeschild instrumentalisieren wollte. "Ich hätte der Nationalheld der Gegend werden können, in der ich geboren bin." Das Schwarz-Weiß-Bild in dem Milošević ein "Faschist und Schurke" war, sei ihm zu einfach gewesen. "Nicht weil ich positiv gegenüber Milošević gesinnt, sondern weil ich negativ gegenüber Großen und Mächtigen war, die mit kleinen Völkern machen, was sie wollen."
Dass er blauäugig Milošević als Revolutionär betrachtete und sogar sein Gesicht auf die Schulter tätowieren lassen wollte, daraus macht der Regisseur keinen Hehl. "Trotz als praktizierende Treue zu eigenen Standpunkten, auch wenn sie Irrtürmer sind", so fasst der Schriftsteller Muharem Bazdulj Kusturicas Haltung zusammen. Kusturica würde eher von der Suche als von einem Irrtum sprechen.
Durch Taufe zum Mythos
Fündig, so denkt zumindest Kusturica, wurde er 2005 als er sich orthodox taufen ließ und sich den Name Nemanja zulegte. Dadurch wurde er in seiner Wahlheimat Serbien zum Mythos. "Es ist nicht einfach die Entscheidung zu treffen, etwas anderes zu sein als das, was von dir erwartet wird", sagte er einmal. Ein Teil der serbischen Öffentlichkeit meinte jedoch kritisch, Kusturica sei kein Serbe, sondern ein zertifizierter proserbischer Nationalist geworden.
Natürlich sieht das die orthodoxe Kirche anders. Der serbische sowie der russische Patriarch haben Kusturica ausgezeichnet. Dazu dürfen auch feurige Reden gegen die Unabhängigkeit des Kosovo beigetragen haben. Die ehemalige serbische Südprovinz sieht er als von den USA zweckentfremdet.
Lukrative Bekanntschaften
Hinter rhetorisch geglückten Ansätzen ist es oft schwierig, präzise Inhalt zu erkennen. Was Kusturica Alterglobalismus nennt, läuft auf Pauschalkritik an allem hinaus, was irgendwie westlich deklariert werden kann: multinationale Korporationen, Hollywood, vor allem aber die US-amerikanische Politik, die mit ihren "Erziehungsbomben" weltweit den Boden für McDonalds ebnete. Stolz ist er auf Freundschaften mit dem verstorbenen Staatschef Hugo Chavez aus Venezuela mit Fußball-Ikone Diego Maradona, dessen sanfte Seite er in einem Dokumentarfilm verewigte ("Maradona by Kusturica", 2008). "Meine Freiheit ist von Maradonas Art – ich mache, was ich möchte", sagte Kusturica einmal.
Manche Bekanntschaften hatten wenig mit Ideologie zutun. Nach dem Sturz von Milošević im Jahr 2000 zeigte sich sein ehemaliger Fan Kusturica pragmatisch – die Machtmenschen in Belgrad wechselten, schmückten sich aber alle mit der Nähe des Weltkünstlers und überschütteten ihn mit Projektgeldern.
So konnte er ein Bergdorf in Südwestserbien erbauen, das er Küstendorf nannte. Anfangs war es nur als Drehort für seinen Film "Das Leben ist ein Wunder" gedacht. Heute findet man dort Wohnhäuser, Restaurants, eine orthodoxe Kirche, Kino, Heliport und Skipisten. Kusturicas Haus mit Schwimmbad liegt auch dort.
Hinter den ungewaschenen Haaren eines Filmgenies würden sich wohl die Gedanken über das eigene Bankkonto verstecken, spotten die Kritiker. Die meisten seiner Landesleute finden das Areal aber toll. Der rundumliegende Naturpark kann sich vor Besuchern kaum retten. Bis zu einem Vorwurf der Veruntreuung war Kusturica dessen Direktor.
Kiffen mit Johnny Depp
Dazu jährliche Festivals mit viel Prominenz in Küstendorf selbst. Vor drei Jahren verprügelte Kusturica dort das Hologramm des US-Schauspielers Bruce Willis. Ein bildlicher Sieg des Autorenkinos über das böse Hollywood. Der Wahlserbe sieht sich in einer Reihe mit Outlaws der Filmkunst wie Jarmusch, Kaurismäki, Almodóvar – da. Willis musste Hollywood symbolisieren weil er seinerzeit ein Million Dollar Kopfgeld auf den irakischen Diktator Saddam Hussein aussetzte. Das gefiel Kusturica gar nicht.
Johnny Depp hingegen ist ein Typ nach Kusturicas Geschmack. Lange bevor er der Pirat der Karibik wurde, arbeitete der Regisseur mit Depp zusammen. So entstand 1993 "Arizona Dream", eine Karikatur des amerikanischen Traums, glänzend besetzt auch mit Jerry Lewis und Faye Dunaway. "Er ist mein Bruder und meine Inspiration", sagte Depp, als er Küstendorf besuchte. In seiner Autobiographie berichtet Kusturica über betrunkene und bekiffte Nächte mit Depp.
Kusturica, ein Mann, der seine Unordentlichkeiten als Image pflegt. Manchmal lesen sich seine Interviews als Dokumentation eines chronischen Beleidigtseins. "Man solle ihn nicht auf den Müllhaufen werfen, nur weil er sich nicht einem bestimmten Akkord anpassen wollte", sagte Kusturica. Seine Filme, Texte und Musik wolle er für sich sprechen lassen. Und wenn es nach Kusturica geht, kann ruhig noch ein Goldener Löwe für die Trophäenvitrine her.