Empörung à la française
24. Juni 2015Die USA haben Frankreich ausgespäht? Ernsthaft überraschen könne das niemanden, kommentiert die französische Tageszeitung Le Monde die am Dienstagabend bekannt gewordenen Spionageaktivitäten des amerikanischen Geheimdienstes NSA.
"Früher oder später hätten wir ohnehin erfahren, dass der Elysée-Palast und französische Politiker von den amerikanischen Geheimdiensten beobachtet werden." Akzeptabel sei das Vorgehen der Amerikaner natürlich nicht. Aber man dürfe auch nicht den Unschuldsengel spielen. "Frankreich hat vor kurzem ja selbst ein umfangreiches Spionagegesetz erlassen".
Die Erkenntnis ist nicht ganz neu. Laut Le Monde hat es bereits im Mai 2012 erste Hinweise gegeben. Damals wurde bekannt, in welchem Stil die Amerikaner ihre europäischen Verbündeten ausspähten.
Frankreich, berichtet Le Monde, habe sich damals zwar nicht im Zentrum der US-Spione gewähnt. Trotzdem habe das französische Außenministerium den damaligen US-Botschafter Charles Rivkin einbestellt. Nach Informationen der Zeitung nahm das Gespräch einen launigen Auftakt. "Ich höre", eröffnete Rivkin das Gespräch. "Genau das ist das Problem", entgegnete der Vertreter des französischen Außenministeriums.
"Ein rebellisches Land"
Auf Frankreich werfen die USA offenbar bereits seit längerem ein besonderes Auge. Das lassen jedenfalls die Erklärungen des auf die Arbeit internationaler Geheimdienste spezialisierten Journalisten Vincent Nouzille vermuten. Frankreich, erklärt er in Le Monde, sei für die Amerikaner immer schon ein rebellisches Land gewesen, das sich nicht leicht kontrollieren lasse.
Die Tatsache, dass Frankreich einen Sitz im UN-Sicherheitsrat und zudem erheblichen Einfluss in Afrika habe, mache das Land für die USA zusätzlich interessant. Ausspioniert hätten sie es darum immer schon. Bereits um den Präsidenten Charles de Gaulle (Amtszeit 1959-1969) seien einige Personen positioniert worden, um die USA über alles Wichtige auf dem Laufenden zu halten.
Besonders mühsam sei die Informationsbeschaffung den Amerikanern nie gefallen, so Nouzille weiter. Immer hätten die Amerikaner im näheren oder ferneren Umfeld der Präsidenten Personen gefunden, die ihnen bereitwillig Auskunft gegeben hätten. "Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeigen sich die französischen Eliten ihren amerikanischen Gesprächspartnern gegenüber als sehr durchlässig", beschreibt Nouzille die Gesprächskultur in Diplomatenkreisen.
Bisweilen hätten die Amerikaner sich überhaupt nicht anstrengen müssen – es hätte genügt, einige französische Minister und ihre Berater direkt anzusprechen. "François Mitterand etwa war sehr geschwätzig und beflissen." Man hüte sich aber, dergleichen als Naivität zu deuten: "Diese Vertraulichkeiten konnten und können dabei helfen, sensible Themen zu entschärfen, die später dann auf die offizielle Gesprächsliste kommen."
"Kein Grund für eine Krise"
Man kannte also die Gepflogenheiten der amerikanischen Geheimdienste. Und wenn man sie nicht kannte, konnte man sie sich zumindest denken. "Das, was passiert ist, ist nicht akzeptabel, aber es ist kein Grund für eine Krise", beschwichtigt Regierungssprecher Stéphane Le Foll. "Wissen Sie, wenn ich telefoniere, dann habe ich mir immer gesagt, na klar, du kannst abgehört werden." Bisweilen, scherzte Le Foll, habe er am Telefon möglicherweise lauschende Geheimdienstmitarbeiter sogar direkt angesprochen: "Hallo, Geheimdienst? Ich bin es Stéphane Le Foll."
Mit seinen lockeren Bemerkungen zieht Le Foll allerdings nur wenige Lacher auf seine Seite. In den Leserbriefspalten der Zeitungen finden sich fast durchgehend kritische Kommentare. "Fatalistisch" sei eine solche Haltung, "Begrenzt" nannte sie ein anderer Leser. Präsident Hollande könne sich über die Affäre freuen, schrieb ein weiterer. "Einerseits verschafft es etwas Abwechslung. Andererseits verleiht es ihm ein wenig Bedeutung."
Das Ego der Präsidenten
Ernst gibt sich zunächst Johan Hufnagel, einer der beiden Chefredakteure der Zeitung "Libération". Diese hatte die Enthüllungen zusammen mit dem Medienunternehmen Médiapart publik gemacht. Die Spionageangriffe änderten das Verhältnis der beiden Staaten zueinander, schreibt Hufnagel.
Es sei eine Sache, das französische Atomprogramm auszuspionieren. Etwas ganz anderes sei es aber, das private Handy von Sarkozy oder Hollande anzuzapfen. "Wenn man zugibt, dass wir zugleich Verbündete und Konkurrenten sind, dann scheint auf einmal alles erlaubt", schreibt Hufnagel.
Das gesteigerte Interesse an "schwachen Signalen", die die amerikanischen Geheimdienste aus den privaten Äußerungen der französischen Präsidenten zu gewinnen hofften, lasse darauf schließen, dass in ihren Diensten mindestens eine Person stehe, die den Auftrag habe, das Ego der Präsidenten zu vermessen. Eine ungeheure Verschwendung von Zeit und Geld, findet Hufnagel. "Billiger wäre es gewesen, sie hätten ein Abo von Libération gekauft."